Die wilden Fräulein
In einem Heupillen auf der Untermotzwiese oberhalb Serfaus wohnten vor Zeiten wunderschöne wilde Fräulein. Zu ihnen ging ein Bauer oft hinauf in den Heimgarten (Huangart). Sein Weib wunderte es endlich, was denn ihr Mann spätabends noch auf der Wiese oben zu tun habe, und schlich ihm einmal nach. Wie sie zu dem Heupillen kam, in den ihr Mann eingetreten war, sah sie einen schönen langen Zopf zwischen den Balken auf den Boden heraushängen. Die Bäuerin hob den Zopf in die Höhe und schob ihn vollends durch die Spalte in den Stadel zurück, worauf sie sich auf den Heimweg machte. Als sich der Bauer endlich zum Gehen anschickte, gab ihm eines der Fräulein, es war dasselbe, das den Zopf beim Stadel herausgehängt hatte, einen Gürtel als Geschenk für seine Frau mit; er dürfe ihn aber beileibe nicht aus der Hand lassen, bis er ihn seinem Weibe übergeben habe. Auf dem Heimwege fühlte der Bauer plötzlich das Bedürfnis, schnell zur Seite zu gehen und schnallte daher den Gürtel ohne lange zu überlegen um den nächsten Baum. Kaum war er aber damit fertig, als der Baum vom Gürtel förmlich durchgeschnürt wurde und in tausend Stücke auseinander sprang. Wie wäre es erst der Bäuerin ergangen, wenn ihr der Bauer den Gürtel übergeben und sie ihn angelegt hätte!
Wilden Frauen ist nämlich nichts unerträglicher, als wenn man
ihnen ihr Haar, das sie beim Ausruhen oder während des Schlafes mit
Vorliebe auf den Boden hängen lassen, aufhebt.
Quelle: Serfaus, Robert Klien u. R. Günter Klien, Pfunds 2002, S. 359.