DIE STAMPA
In der Gegend um Nassereith ging einst ein wildes Weib um, die Stampa, welche statt eines menschlichen Hauptes einen Roßkopf trug und eine sonderliche Vorliebe für neugeborene Kinder und Wöchnerinnen zeigte. Blieb eine junge Mutter oder ein Säugling allein, so kam die Stampa herbei, um Mutter und Kind zu entführen. Daher war es ratsam, Wöchnerinnen und Neugeborene nie allein zu lassen. Einst schlich sich die Stampe zum Haus einer jungen Mutter in Dormitz, in deren Kammer aber ihr Mann wachte.
Der sah durch das Fenster den greulichen Kopf der Stampa, schrie laut auf, und das wilde Weib entfloh, ohne weiteren Schaden anzurichten. In Nassereith ließ man einmal ein neugetauftes Kind allein in der Stube. Flugs langte die Stampa mit ihren dürren Armen zum Fenster herein, hob das Kind aus der Wiege und suchte das Weite. Zufällig kam die Kindesräuberin an einem Baum vorüber, unter dem man das Taufwasser des Kleinen ausgeschüttet hatte. Da mußte die Stampa, die sich vor dem Taufwasser fürchtete wie der Teufel vor dem Weihwasser, das Kind fallen lassen, das von der Mutter unter dem Baum glücklich wieder aufgefunden wurde.
Die Stampa und ihr wilder Mann, der Parlör, aßen gerne Nüsse und stahlen diese Früchte zur Nachtzeit von den Bäumen. Um nun dem diebischen Paar das Nüssestehlen zu verleiden, legten sich einmal ein paar Bauern in den Hinterhalt und beobachteten, wie Parlör auf einen Nußbaum stieg und die Nüsse seinem Weib, der Stampa, hinunterwarf, die einen großen Sack damit auffüllte. Den Sack hatte aber einer der Bauern heimlich am Boden aufgetrennt, so daß das wilde Weib die Nüsse immer wieder verlor.
Als Parlör nun immer mehr Nüsse »klauben« sollte und die Stampa gar nie genug bekam, stieg er vom Baum, untersuchte den Sack und fand den aufgetrennten Boden. Voll Wut über die Unachtsamkeit des Weibes, gab er der Stampa eine »Maulschelle«, daß die Bauern im Gebüsch hellauf lachten. Das Gelächter erschreckte das wilde Paar so, daß es auf den Fennisberg floh und seither nicht mehr gesehen wurde.
Quelle: Heimatbuch Nassereith, Nassereith 1987