DER GAFLEINER

Im dunklen Gafleinertal, dort wo es am engsten und tiefsten ist, soll vor Zeiten ein abscheulicher Geist gehaust haben. Oft soll er wie eine Kugel talaus gerollt sein und ringsumher Schrecken verbreitet haben. Seine Erscheinung soll auf einen Bergmann zurückgehen, der durch sein gottloses Tun und Handeln die Strafe des ewigen Richters auf sich gezogen hat.

Ein Bewohner Nassereiths soll diesen Unhold einmal gesehen haben, wie er, den Kopf unter dem Arm, taleinwärts schritt und sich ein schauriges Liedchen pfiff. Dem biederen Nassereither standen die Haare zu Berge. Oben beim sogenannten »Fudeler« befindet sich ein alter Stollen, durch dessen schwarzen Schlund der unheimliche Geist verschwand. Mit diesem Stollen aber hätte es seine besondere Bewandtnis:

In grauer Vorzeit schürfte da ein Mann nach den Erzschätzen des Berges. Er hatte Glück und erwarb sich großen Reichtum. Es packte ihn der Übermut und er führte ein Leben, das die Gebote nicht kannte. Eines Tages ertappte er einen Dieb und schlug ihn nieder. Er schleppte ihn zu einem engen Schacht und ließ ihn darin elend verhungern. Jedoch, wie alles im Leben einmal geahndet wird, so ereilte auch den unmenschlichen Bergherrn sein Geschick. Der gräßliche Fluch, den ihm der Unglückliche im tiefen Schacht vor seinem entsetzlichen Tod nachsandte, erfüllte sich in schauriger Weise. Der Fluch lautete:

»Gott soll dich strafen in kürzester Frist,
wie du mit mir verfahren bist!
Den harten Schädel zerschmettre ein Stein,
sollst nicht mehr können von Herzen bereu'n!
Mir aber in meiner äußersten Not
sei gnädig als Richter, mein Herr und Gott! « (Nach N. Mantl)

Rasch versiegte der Bergsegen, Kriege zogen durch das Land, Gewitter und Lawinen suchten das finstere Tal heim und es schien, als wolle sich alles verbinden, um den Gottesfrevler zu bestrafen. Nun ist sein Reichtum versiegt, ein Bettler ist er jetzt. Eines Tages aber stürzte der Berg zusammen und begrub den Mann in ewiger Nacht. Ein Felsblock zermalmte seinen Schädel. So hat sich der Fluch erfüllt. Die Seele aber fand trotzdem keine Ruhe und durchzog in Gestalt eines Geistes den dunklen Talgrund.


Quelle: Heimatbuch Nassereith, Nassereith 1987