Se hab'n ma Geign g'macht
Zu jenen Volksbräuchen in einzelnen Tälern Tirols, ganz besonders im Oberinn- und dessen Seitentälern (Gurgl-, Stanzer-, Paznauner-, Kaunsertal [Kaunertal]), gehört vor allem das Bemalen von Häusern mit Geigen. Wird es den "Geig'n-Malern" ganz unmöglich gemacht, das hiefür ausgewählte Haus "auszeichnen" zu können, dann muß die nächstgelegene Mauer dazu herhalten.
"Auche g'malt mueß se weare, d'Geige. Dös sein m'r uns'rer Eahr und o üns'rem Ansoiche schuldig."---
Man sieht Geigen in den unterschiedlichsten Größen. Zuweilen gibt es dabei noch allerlei Zugaben, so z. B. einen offenen, umgekehrt hängenden Kornsack, aus dem die Frucht fällt; ein Herz, vom Pfeil durchschossen, "d'Bluatstropfe rinne schier schaffelweise acha"; Wiegen mit einem bis zu zwei und drei Kindern; Scheren, die Bett- und Leintücher durchschneiden, und noch anderes mehr.
Zwei Spottgeigen an einer Stadeltür (Stalltür)
in Tarrenz, Tirol (Gurgltal)
mit Initialen (und Ziffern?) versehen
© Wolfgang
Morscher, 27. Februar 2005
Der Geigen sind stets zwei, beziehungsweise vier Buchstaben beigesetzt, wenn es sich z. B. um eine "Lieb'sg'schicht" handelt. Die Anfangsbuchstaben der Tauf- und Familiennamen von den mit der Geigenmalerei "Beehrten".
Im Oberland sind es besonders Imst, Tarrenz, Zams, Grins, Fließ, wo man mit dem Geig'nmalen niemals knickerisch war, es auch noch in unseren Tagen nicht ist. Es gibt da Häuser, deren Wände mit drei, vier, ja noch mehr Geigen in die gewisse Ortschronik eingereiht wurden.
Der Ursprung dieses Volksbrauches ist darauf Zurückzuführen: Besonders im Oberinn- und dessen Seitentälern wird das jeweilige Ergebnis der Almwirtschaft sehr ernst genommen. Dies kommt schon darin zum Ausdruck, daß für die Gemeindealmen nicht nur Ober- und Hilfssenner, beziehungsweise Sennerinnen, angestellt werden, sondern sogar noch eigene Alpmeister. Man könnte sie "Intendanz- oder Wirtschaftsvorstände" benennen.
Um als Einzelner oder als ganze Gemeinde gegenüber anderen Mitberechtigten unbedingt den Sieg mit den eigenen "Milchlieferantinnen" davon tragen zu können, wird zuweilen das fast Unglaublichste an "Uebervorteilungsmaßnahmen" ausgekopft. Rechtsbegriff, Moral und christliche Nächstenliebe kommen dabei öfters sehr, sehr weit in das Ausgeding zurück.
Darüber wird jedoch ebenso wenig nachgedacht, wie man sich auch nicht auf das "Skrupelmachen" verlegt. Es gilt nur eines: den Ehrgeiz restlos befriedigen.
Ist die Entscheidung gefallen, welcher Partei, Gemeinde, Ortschaft der größere Alpennutzen, somit auch die bessere, klügere Alpwirtschaft, zuzuschreiben sei, dann wird von den Siegern dies festlich gefeiert. Die Unterlegenen bekommen "ihre Geig'n" - mit den hiezu passenden Spottreimen.
Lorenz Leitgeb erzählt darüber in feigem Buche "Mei' Hoamat", daß er im Herbst 1907 in Fließ (Oberinntal) eine Geige sah, bei der geschrieben stand:
"Wegen Mangel an Platz kommt die Mühlbacher Geig'n auf den Platz. -"
Weil sie also beim Verspotteten selbst nicht anzubringen war, so kam sie anderswo hin. Aber "g'malt" mußte sie dem Mühlbacher werden.
Erstmalig berichtete Dr. Isidor Müller in seinen "Tiroler Alpenbildern" (1897) über das "Geig'n malen". Von den Unterlegenen erhält der kleinste Bauer auch die kleinste Geige zugeteilt. Dann steigt's an bis zur Baßgeige. Diese wird mit Vorliebe dem unterlegenen Alpmeister "verliehen". Das Bemalen der Häuser mit solchen Spottgeigen bedeutet:
"Laß di' heimgeig'n, Heiter", oder:
"i will dir etwas aufgeig'n, fürgeig'n, Hascherle, arm's."-------
Auch Dr. Oswald Menghin schreibt über "Die Geige, ein Oberinntaler Brauch" (Zeitschrift für österr. Volkskunde, Jahrg. 1912), daß dieser Brauch mit dem Alpergebnis in Zusammenhang zu bringen ist. Er beruft sich auf die Mitteilungen des Fließer Pfarrers Johann Rudig, der ihm darüber schrieb:
"Unsere Gemeinde hat zwei Kühalpen, Zanders und Gagles. In deren Benutzung wechseln die zwei Gemeindehälften ab. Jene Partei, die nach Abschluß der Almzeit den geringeren Nutzen erzielte, bekommt die Geige, und zwar Haus für Haus der unterlegenen Bauern. An Spottversen fehlt es auch nie. Zum Beispiel:
Ach, was werd'n die Berger*) sag'n,
Daß die Platzer ) die Geig'n hab'n. : oder:Der Juenn Lois, der reiche Mann,
Der sperrt die Tür so keif er kann.
Dr. Menghin sagt, daß, dieser Brauch ein seltsamer Ueberrest älterer Rechtspflege sei.
"Die Geige war, bis in das 18. Jahrhundert herauf, ein beliebtes Strafgerät für Zanksüchtige und andere - Verbrecher.
Sie bestand aus einem geigenförmigen, aufklappbaren Brette, das Oeffnungen enthielt für den Hals und die Handgelenke des Delinquenten.
So gekennzeichnet, stand dieser damit nun an dem Pranger.
Man findet solche "Strafgeigen" noch in den meisten Museen der Alpenländer."
Spottgeige an einer Stadeltür (Stalltür)
in Tarrenz, Tirol (Gurgltal)
Beischrift "SANDRA ADE"
© Wolfgang
Morscher, 27. Februar 2005
Vielfach ist aber auch noch "Liebesschicksal" die Ursache zum "eine Geige bekommen". Werden Liebschaften gelöst, so bekommt der Teil, dem der "Abschied" gegeben wird - die Geige. Die "Aufmalen" derselben geschieht in der Nacht vom Samstag auf den Sonntag, an dem die Eheverkündigung des Burschen oder des Mädels erfolgt, von dem die Lösung des früheren Verhältnisses ausging.
Um die Verulkung rascher zum Ortsgespräch zu bringen, wird vom Haus des ehemaligen Bräutigams bis zur Braut, die morgen mit einem anderen Hochzeit hält, - oder umgelehrt - Sagmehl gestreut und von da bis zur Kirche. Diese "Markierung" hat zumeist eine Breite von 10 bis 30 Zentimeter. Bei Wegkreuzungen wird ein großer Kreis eingefügt, in dem die Anfangsbuchstaben der Namen des "abgebauten" bisherigen Liebhabers, Schätzchens und jenes Burschen oder Mädels stehen, das an seiner Stelle zum Altar geführt wird. Zuweilen sieht man die Namen ganz ausgeschrieben.
Spottgeige an einer Stadeltür (Stalltür)
in Tarrenz, Tirol (Gurgltal)
Beischrift "Werner ade"
© Wolfgang
Morscher, 27. Februar 2005
Solch' bösen Ulk 'verdanken die damit Bedachten zumeist früher abgeblitzten Bewerbern, beziehungsweise abgeblitzten Bräuten, auch Neidern im allgemeinen. Ab und zu erlauben sich auch ganz gute, in keiner Weist durch Liebesenttäuschungen dazu veranlaßte Freunde, den Spaß des "Geigenmalers" -. Es gehört zumeist viel Vorsicht, Klugheit, Raschheit und - Keckheit dazu, um das Vorhaben ausführen zu können. Jedenfalls kann dieses nur bei vollständiger Dunkelheit geschehen. Zuweilen ahnen aber die Brautleute, daß etwas' im Zuge ist, oder erfahren vertraulich davon, legen sich also zeitgerecht auf die Lauer und bereiteten dem vermeintlichen Spaß ein vorzeitiges Ende.
Bei Geigen dieser Spottrichtung sind die zeichnerischen Zugaben oft recht ulkig. So bekam ein abgeblitzter Bräutigam, der zugleich Vorstand des Jünglingbundes war, zur Geige einen Rosenkranz und darüber das Auge Gottes beigesetzt. Letzteres sollte dem Verlassenen sagen, daß Gott auch das sieht, was bei Nacht geschieht - aber nicht sein soll-, weshalb ihm übrigens ja auch das "Aus ist' s" der Herzallerliebsten zukam.
Alles in allem sind jedoch alle diese Werke nicht kränkend und machen
im Laufe der Zeit vielfach selbst jenen Spaß, die seinerzeit zur
"Geige" kamen. Es gibt Leute, die für die Abschaffung derartiger
"Unsitten" sind. Dazu ist zu bemerken: von "Unsitte"
kann in keiner Weise die Rede sein, andernteils aber gehören alle
bodenständigen Volksbräuche zu den Erbschätzen des Volkes
von Geschlecht auf Geschlecht, wie die Trachten und Dialekte der einzelnen
Täler. Sind also wie diese als Erbgüter einzuwerten, zu beschützen,
zu behüten. Laßt sie also weiter "Geig'n
mal'n" unsere Landsleut' im Oberland oder Pustertal, wenn
es dort Brauch ist, schon seit altersher dies war.
Quelle: Tiroler Heimatblätter, Plauderei von Sepp Heimfelsen, Heft 1, 1924, S. 7ff