DIE HEXE STASE VON LANDECK
Auf einem Hof in der Nähe von Landeck hauste einst eine Bäuerin, die als Hexe Stase weit und breit verrufen war. Fiel sich im Sommer auf der Alm ein schönes Kalb zu Tode oder ging sonst ein Stück Vieh ein, so hatte gewiß die Hexe Stase ihre Hand dabei im Spiel. Gelang es einer Bäuerin auf einem Hof nicht, aus der Milch Butter zu gewinnen, so hatte die Stase den Butterkübel verhext, wie es einmal einer ihrer Nachbarinnen erging. Diese aber war nicht faul und gedachte die Hexe mit einem glühenden Bratspieß aus dem Kübel zu vertreiben; dann werde die Arbeit schon gelingen. Da trat auf einmal die Stase in die Stube und fragte hastig: "Was machst du denn mit dem glühenden Spieß am Butterkübel?" Und als jene erwiderte: "Ich will die Hexe da drinnen an den Leib", sagte das alte Weib: "Das brauchst du ja gar nicht; schau, die Butter gerinnt schon!" und klopfte dabei an den Kübel. Und siehe, augenblicklich war die schönste Butter da, und die Alte entfernte sich, ohne ein Wort zu sagen. Hätte die Bäuerin mit dem Spieß in den Kübel gestochen, wäre die Hexe ohne Zweifel schwer verwundet worden.
"Landecker Häuser"
Franz von Defregger (1835-1921)
Öl auf Leinwand, 93 x 113 cm, 1870er Jahre
Sooft im Sommer schwarze Wolken über den Bergen aufzogen, dauerte
es nicht lange, und man sah die Hexe auf einem Sattel ohne Pferd durch
die Luft reiten und mit einem Besen die Wolken vor sich herfegen. Wenn
die Hexe aber zu Hause Mus kochte und es ihr an Salz fehlte, fuhr sie
auf ihrem Sattel nach Hall um Salz.
So trieb sie es lange Zeit. Aber einmal war doch das Maß ihrer Übeltaten voll. - Der Gatte der Stase betrieb neben seiner kleinen Wirtschaft das ehrsame Schusterhandwerk. Daß seine Frau böse Künste treibe, wollte er durchaus nicht glauben, obwohl in der ganzen Gegend die Rede davon war. Eines Tages suchte er am frühen Morgen sein Handwerkzeug zusammen, um in einem entfernten Hof seine Schusterarbeit zu verrichten. Da sah er schwere Wolken hinter den Bergen aufsteigen und meinte zu seiner Frau, er wolle lieber zu Hause bleiben, um die am Vortag gemähte Gerste unter Dach zu bringen, sonst könnte der Hagel die Körner ausschlagen.
Der Stase paßte es aber nicht in ihren Kram, daß der Mann heute im Hause weile, denn sie wollte gerade an diesem Tag einen großen Hexentanz besuchen. "Nein, nein", erklärte sie daher, "es ist gar nicht notwendig, daß du daheim bleibst; du kannst unbesorgt deiner Arbeit nachgehen, ich werde mich schon um die Gerste kümmern und sie noch vor dem Gewitter einbringen."
Nicht allzu sehr davon überzeugt, daß das Weib wirklich rechtzeitig die ganze Gerste bergen werde, machte sich der Schuster auf den Weg. Das Haus, in dem er arbeiten sollte, lag am jenseitigen Talhang seinem Anwesen gerade gegenüber, so daß er alle Vorgänge auf seinem Hof beobachten konnte. Als er nun einmal hinüberblickte, da gerade die ersten Tropfen fielen, sah er, wie sein Weib eine Gerstengarbe nahm und damit zur Scheune ging, und alle andern Garben flogen wie eine Schar Tauben hinter ihr drein. Da erinnerte sich der Mann an das Gerede der Leute, daß seine Frau eine Hexe sei, und sagte sich erschrocken, es müsse wirklich so sein. Sofort ließ er Hammer und Ahle fallen und eilte nach Landeck, wo er bei Gericht die Anzeige machte.
Der Richter entsandte sogleich eine Schar Gerichtsdiener, die die Hexe einfangen sollten. Sie führten einen kupfernen Kessel mit sich, in den man das Weib hineinschmieden wollte; denn Eisen oder anderes Metall hätte sie wie Wollfäden auseinandergerissen, Kupfer aber widersteht der Zauberkraft der Hexe. Zum Glück hatte die Alte vom Anmarsch der Häscher nicht Wind bekommen, sonst wäre es ihnen nicht geglückt, die Hexe zu fangen; sie hätte sich in ihren Sattel geworfen und wäre durch die Luft davongeritten.
Als man sie dann gegen Landeck führte, forderte sie die Kinder, die um den Zug herumsprangen, mehrmals auf, sie mit Kot zu bewerfen. Aber die Wächter verboten dies; denn sie wußten, wenn nur ein Krümmelein Erde die Hexe berührte, wäre sie imstande gewesen, die eisernen Ketten wie Spinnweben zu zerreißen und zu entfliehen.
In Landeck machte man kurzen Prozeß mit der Stase und verurteilte sie als Hexe zum Scheiterhaufen. Sie zeigte weder Furcht noch Reue und sagte trotzig, als sie auf den Holzstoß stieg: "Heute wird ein warmer Tag werden!"
Nun wurde der Scheiterhaufen angezündet, aber zweimal kamen schwarze Vögel und löschten unter schrecklichem Gekrächze mit wildem Geflatter die emporzüngelnden Flammen aus, bis man geweihte Sachen in das Feuer warf und so die Macht der Teufelstiere zunichte machte. So fand das böse Weib in den Flammen den Tod und wurde zu Staub und Asche verbrannt. Aber die Kunde von der Hexe blieb erhalten, und der Sattel der Stase ist im Landeckerischen sogar sprichwörtlich geworden; sagt man doch, wenn jemand sich schnell an einem Ort einfinden soll: "Reite auf dem Stase-Sattel dorthin."
Quelle: Die schönsten Sagen aus Österreich, o. A., o. J., Seite
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