Der Spuk auf dem Milser Schlössl
In Seefeld zechten einmal ein Fuhrmann und ein Bauernknecht tief in die Nacht hinein. Als es so gegen zwölf Uhr gieng, sagte der Fuhrmann zum anderen:
"Geh mit mir; wir wollen sehen, ob es wahr ist, dass es im Schlössl draußen um Mitternacht geistert."
Der Knecht gieng mit dem Fuhrmann, und bald waren sie beim Milser Schlössl, als es Zwölfe schlug. Der Fuhrmann that in seinem Übermuth [Übermut] einen gewaltigen Juchezer.
"Sei still," sagte der Knecht, "sonst könnte es uns schlecht ergehen."
Aber im selben Augenblick erscholl auch ein Juchezer vom Schlosshügel herab. Im Schlosse war es lebendig; sie hörten Musik, und als sie näher kamen, sahen sie viele Lichter und konnten deutlich die schleifenden und stampfenden Tritte von Tänzern vernehmen. Den Knecht kam das Gruseln an, und er wollte umkehren, allein der Fuhrmann ließ ihn nicht. Als sie der Ruine näher kamen, erblickten sie ein großes, hell erleuchtetes Schloss vor sich und sahen Leute darin, die sie noch nie gesehen hatten. Alle waren ganz altfränkisch gekleidet, Herren sowohl als auch Frauen. Endlich, als sie so dastanden, kam einer aus dem Schlosse und sagte:
"Wollt ihr uns nicht einmal zu trinken?"
"Ja," antwortete der Fuhrmann, "einen guten Tropfen mögen wir immer."
"Recht so," meinte der Rittersmann, der eine lange Feder auf dem Hute hatte, "da bringen wir's euch."
Und er reichte jedem einen mit Wein gefüllten goldenen Becher. Da
auf einmal verloschen die Lichter im Schlosse, ein scharfer Wind fuhr
heran, und Musik und Tanz hatten ein Ende. Als der Fuhrmann und sein Begleiter
trinken wollten, hatten sie statt der goldenen Becher Todtenschädel
[Totenschädel] in den Händen. Entsetzt schleuderten sie dieselben
von sich und liefen, was sie konnten, ins Dorf zurück.
Quelle: Volkssagen, Bräuche
und Meinungen aus Tirol, gesammelt und herausgegeben von Johann Adolf
Heyl, Brixen 1897,
Nr. 9, S. 16