Wolfsgruben

Im Mittelalter durchstreiften Bären, Luchse und Wölfe das Oberinntal. Diese Wildtiere waren eine Bedrohung für Herden und Siedlungen.

Vor allem in den abgelegen Höfen verfolgte man immer wieder verängstigt das Auftauchen der Räuber, die all zu oft aus den Herden der Bauern Beute schlugen.

Die Leute hatten damals für die Jagd noch keine Gewehre. Mit Pfeil und Bogen oder mit einer Armbrust war den gefährlichen
Feinden aber nur schwer beizukommen.

Am ehesten noch waren die Wölfen mit einer List zu besiegen, wie eine Sage aus Silz erzählt.

Am Berghang oberhalb von Kochlach führte eine Familie, die von Kühtai her zugezogen war, einen stattlichen Hof.

Der Bauer war stets wachsam und hütete seine Schaf und Rinderherde mit großer Sorgfalt. Ständig hielt er auch Ausschau nach Wildtieren, die seinen Herden gefährlich werden könnten.

Es war aber nicht der Vater, der einen Wolfsrudel als Erster bemerkte, sondern seine kleine Tochter Stefanie.

In einer Vollmondnacht wachte das Mädchen auf und wollte das Fenster seiner Kammer öffnen, weil es drückend heiß im Zimmer war.
Da vernahm es von den Seiten-Mahder herab schauerlich klingendes Heulen.

Aufgeregt lief es in das Zimmer der Eltern. Stefanie weckte ihre Mutter "Mama, wilde Tiere heulen draußen im Wald."

Die Mutter erschrak, beruhigte ihre Tochter jedoch mit den Worten: "Das war nur ein böser Traum!"

Am Abend des anderen Tages, als der Bauer seine Schafe in den Stall trieb, musste er das Fehlen eines seiner trächtigen Muttertiere
feststellen.

Er suchte nach dem verlorenen Schaf, brach aber bald die Suche ab, da er noch vor dem Einbruch der Dunkelheit im Schutz seines
Hofes sein wollte.

Das Schaf hatte sich nur für eine kurze Zeit von der Herde getrennt, um ein Lamm auf die Welt zu bringen. In dieser Situation näherte sich ein Wolfsrudel.

Die hungrige Meute trieb das Mutterschaf vor sich her, bis es völlig erschöpft war. Der Leitwolf riss es zu Boden. Im Nu entbrannte
ein hitziger Kampf um die Beute.

Nach ein paar Tagen, als der Bauer zufällig in diese Gegend kam, entdeckte er Überreste des getöteten Tieres.

Daheim erzählte er davon und warnte besonders seine Tochter: "Stefanie, draußen im Wald lauern Wölfe. Geh ja nicht weit weg
von unserem Haus!"

Nach ein paar Tagen jedoch hatte das Mädchen die Warnungen ihres Vaters schon vergessen.

Beim Blumenpflücken kam es immer näher an den Waldrand. Erst jetzt erkannte Stefanie die Gefahr! Schon sah sie die grauen Räuber hinter den Büschen lauern.

So schnell ihre. Füße sie tragen konnten lief sie zurück und rief ihren Vater zu Hilfe. Einige Wölfe waren schon bedenklich nahe an das Mädchen herangekommen.

Als sie jedoch den herbei eilenden Bauer bemerkten, der laut brüllend mit einer Mistgabel den Wölfen fuchtelte, verschwanden sie wieder im Dunkel des Waldes.

"Mein Kind, Gott sei Dank ist dir nichts passiert!", seufzte der Vater erleichtert und umarmte das Mädchen, das noch immer vor
Angst zitterte.

Die Eltern überlegten nun, wie sie sich gegen die Gefahr aus dem Wald am besten schützen könnten.

Die Mutter schlug vor: "Hier ist es für das Kind viel zu gefährlich! Ich geh mit Stefanie hinunter ins Dorf zu meinen Verwandten."

Der Vater stimmte dem Vorschlag zu: "Ja, das wird das Vernünftigste sein. Packt eure Sachen und macht euch gleich auf den Weg."

Seiner Frau trug er noch auf: "Verständige den Hias, den Jäger. Er soll sogleich heraufkommen und mir bei der Wolfsjagd helfen!"

Schon am Abend des nächsten Tages erschien der Hias. Er wusste, wie den Wölfen am Besten beizukommen war.

Bei einer kräftigen Jause in der Küche des Bergbauern führte der Jäger aus: "Ich habe lange nachgedacht, was wir gegen diese Wölfe unternehmen könne. Plötzlich hatte ich eine - wie ich glaube - brauchbare Idee: Wir bauen eine Falle!"

Der Bauer bohrte nach: " Wie stellst du dir das vor?"

"Am Waldrand heben wir eine lange, üefe Grube aus. Mit dünnen Ästen und Zweigen decken wir diese ab. Auf die Zweige legen wir Fleischstücke und Knochen," erklärte der Hias.

"Ah! Ich verstehe! Die Wölfe werden sich darauf stürzen und in die Grube fallen!" -ergänzte der Bauer hoffnungsvoll.
Am nächsten Tag begannen der Bauer und der Jäger gleich mit der Arbeit.

Am Abend beobachteten die Männer vom Dach des Hauses aus gespannt, was passieren würde.

Im Schein des aufgehenden Mondes bemerkten sie, wie sich Schatten der Grube näherten.

Die Wölfe hatten das Fleisch gewittert. Voller Gier stürzte sich das Rudel auf die vermeintliche Beute.

Kein Raubtier entkam der Falle. Das Heulen der Wölfe war fürchterlich.

Es war bis ins Tal hinunter zu hören.

Am anderen Morgen kamen viele Silzer am Berghof vorbei und feierten mit dem Bauern und dem schlauen Hias das Jagdglück.
Seither heißt dieser Bergbauernhof Wolfsgruben.

Quelle: Einige Sagen aus unserer Umgebung, Johann Zauner, gesammelt in einem gemeinsamen Projekt der Volksschule Mötz und Voklsschule Silz, S. 15f.