DAS EIFERSÜCHTIGE BERGMANDL

Daß auch die wilden Bergmännlein von der Eifersucht geplagt werden, hört man aus einer alten Sage, die um die Rofnerhöfe im obersten Ötztal geht. Ein Bauer auf Rofen hatte ein schönes Töchterlein, das oft die Schafe des Vaters weit droben auf den Berg-mähdern hütete. Da gesellte sich manchmal ein kleines, putziges Mandl zu dem Mädel, das gar freundlich mit ihm plauderte, Geschichten und Märlein erzählte und dem Hirtenmädchen beim Hüten und beim Schafesuchen half, wo es nur konnte. Auch wurde das Rofnermädel vom Männlein oft und dringend eingeladen, doch mit in sein Haus zu kommen. Das Mädchen aber traute dem Männlein trotz seiner Gutherzigkeit nicht und wußte immer wieder eine Ausrede. Nach einigen Jahren, als aus dem Mädchen eine blühende Jungfrau geworden, reichte sie ihre Hand einem ehemaligen Knecht des Vaters und bezog ein eigenes Heim in Vent.

Das Männlein kam noch oft auf die Alm und suchte vergebens das Mädchen, dem es sein ganzes Herz geschenkt. Als das Mandl nun einmal von Hirtenbuben erfuhr, daß das Mädchen geheiratet habe und nach Vent gezogen sei, da schäumte in dem Zwerg wilde Eifersucht auf; er wurde von nun an zu einem furchtbaren Plagegeist auf der Alm des Rofners. Oft verjagte das Mandl das Vieh schon zur Mittagszeit von der Weide, trieb auch im Stall des Rofners allerlei Unfug, legte Feuer an das eingebrachte Heu und war durch keine Gewalt zu bändigen, zu vertreiben oder zu fangen.

Da bat der Rofner seine Tochter, doch selbst einmal das Männlein zu besänftigen. Sie trieb also eines Tages wieder die Schafe auf die Alm und brachte in dankbarer Erinnerung an die Wohltaten, die ihr das Bergmännlein einst erwiesen hatte, als Geschenk ein neues lodenes Röcklein mit.

Als das Mandl die Rofnertochter wiedersah, schmolz das Eis des Zorns und der Bitternis von seinem kleinen Herzen. Das Männlein näherte sich zutraulich der jungen Frau, gab ihr die Hand und war ganz glücklich, wieder bei ihr sein zu dürfen. Als ihm aber nun das Röcklein als Geschenk angeboten wurde, wandte sich das Mandl ab, schlug schluchzend die Händchen vor das uralte Gesicht und schritt dem Berg zu. Von dieser Stunde an war das Männlein verschwunden, und nur die Erinnerung daran lebt noch in dem Namen der Bergspitze Das Wilde Mandl".

Karl Paulin, Die schönsten Sagen Tirols, Innsbruck 1948, S. 184 f.
aus: Sagen und Geschichten aus den Ötztaler Alpen, Ötztal-Archiv, Innsbruck 1997