DIE SAGE VOM KREUZBILD IN HEILIGKREUZ

In der Kirche zu Heiligkreuz sieht man als Hochaltarbild ein Kreuz. Wie der Kurat Anton Greiter (1798 - 1807 Kurat in Sölden) aufgezeichnet hat, hat es mit diesem Bilde folgende Bewandtnis: Vor beiläufig 100 Jahren wurde dieses Meisterstück der Bildhauerkunst in Imst von einem frommen Jüngling und gebürtigen Imster verfertigt. Die Sache trug sich also zu, wie ich nach glaubwürdigem Zeugnis vernommen.

Es ereignete sich, daß besagter Jüngling, als er noch Lehrjunge in der Bildhauerkunst war, eines Tages zur Zeit eines schrecklichen Donnerwetters seine Zuflucht in die St.-Johannes-Kirche zu Imst genommen und gleich nach seinem Eintritt eine Erscheinung hatte. Es stand nämlich ein Kruzifixbild in der gleichen Größe und Form vor ihm, wie es dermalen auf dem Hochaltar zu Kurzlehn (Heiligenkreuz) zu sehen ist. Und er hörte eine Stimme, die ihm sagte: Dieses Kruzifix sollst du machen!"

Der gute Jüngling getraute sich nicht von dem, was er gesehen, jemanden etwas zu sagen, und die Ermahnung blieb unerfüllt. Mit der Zeit reiste er auf die Wanderschaft und kam u.a. nach Wien, wo er tödlich erkrankte. Während dieser Krankheit hatte er die nämliche Erscheinung wie vormals in Imst. Er sah das nämliche Kreuz vor sich, und es wurde ihm zugleich sein Ungehorsam verwiesen. Nun machte er ein Gelübde, daß er, wenn Gott ihn von dieser Krankheit werde genesen lassen, unverzüglich nach Hause reisen und erfüllen wolle, was ihm befohlen worden. Wirklich besserte es sich bald mit seiner Krankheit, und er reiste bald nach Imst und schuf das Kruzifix, welches seine erste und letzte Arbeit blieb. Der Jüngling erkrankte während der Arbeit und starb.

Auf inständiges Ersuchens des Kuraten Greiter kam das Kruzifix endlich nach Heiligenkreuz.

Haid, Hans, Unveröffentlichte Sagen aus dem Ötztal, in: Tiroler Heimatblätter, 45. Jg., Heft 4-6, 1970, S. 63
aus: Sagen und Geschichten aus den Ötztaler Alpen, Ötztal-Archiv, Innsbruck 1997