Alt wie der Wald
Vor vielen, vielen Jahren war einmal zu Stubai die Pest und die Leichen standen von der Pfarrkirche zu Telfes bis zum Ende des ziemlich langen Dorfes. Dazumal war nämlich Telfes die einzige Kirche im Tale. Nach und nach sind alle Personen ausgestorben, bis auf zwei alte Leute in Neustift. Diese saßen eines Abends vor der Tür ihrer hölzernen Hütte und besprachen sich eben, was aus ihnen werden sollte. Da kam ein spannlanges Männlein und sang: ...
"I bin so grau, i bin so alt,
Denk Spitzwies zweimal Wies' und zweimal Wald.
Esst's Kranebitt und Bibernell,
Packt enk der Tisel* nit so schnell."
Ehe sich die Überraschten erholten konnten, war das Ungeschicht
verschwunden. Sie aßen beide Wachholderbeeren und Bibernall und
siehe - sie blieben verschont. Später kam der Norg öfters zum
alten Ehepaare in den Hoangart, insbesondere, wenn draußen die Flocken
wirbelten und der Gletschersturm heulte. Er setzte sich dann zu ihnen
auf die Ofenbank und erteilte manch nützlichen Rat über Vieh
und Viehzucht.
*Tisel ist ein allgemeiner Begriff für Infektionskrankheiten
Quelle: Alt wie der Wald , Greußing, Sagen und Bräuche aus dem Stubaital, ZfVk. 3, 1893, 171f zit. nach Will-Erich Peuckert, Ostalpensagen, Berlin 1963, Nr. 265, S. 144