Die Eggenbäuerin
Übers Duxerjoch [Tuxerjoch] wallfahrtete einst der Eggenbauer traurig und betrübt, weil vor kurzem sein Weib gestorben war. Auf dem Joch, gegen Steinach zu, verging er sich aber. Da - siehe da - führte ihn der Geist seines treuen Weibes, ein Lichtlein in der Hand, den guten Weg und sprach, nachdem dies geschehen:
Nun wölln wir rasten!
Der Mann aber vermochte vor Schrecken nichts zu sagen. Da nahm das Weib
aus ihrer Schürze zwei kleine Schächtlein herfür, öffnete
sie und gab aus dem einen etwas ihrem Mann zu kosten, was sehr bitter
schmeckte, darauf aus dem ändern etwas, das sehr süß und
lieblich zu kosten war. Auf des Mannes endliche Frage, was diese beiden
Schächtlein und deren so verschiedener Inhalt zu bedeuten habe, sagte
sie ihm, daß das Schächtlein mit dem Süßen ihre
guten Werke, das mit dem Bittern aber ihre üblen Werke seien, die
sie auf Erden begangen habe. Und dieses letztere müsse sie noch ausessen
bis sie an ein "gutes Ort" käme. Der Eggenbauer wurde von
dieser Stunde an noch trauriger, ging heimwärts und starb nach drei
Jahren.
Quelle: Die Eggenbäuerin, Von einer Duxerin, 1847, Eduard Ille: Büschelzuig aus Tirol, ZfVk. 8, 1898, 325f, zit. nach Will-Erich Peuckert, Ostalpensagen, Berlin 1963, Nr. 311, S. 166f