Die arme Seele und die Rösser
Eine seltsame Geschichte trug sich auch beim Kapellbauer in einer heiligen Nacht zu. Nach der Stallarbeit und dem Abendessen ging der Bauer mit der Räucherpfanne in der die geweihten Kräuter und der Weihrauch lagen und dem „Weichbrunnkessel“ durch alle Räume und Ställe und ums Haus, um alles auszuräuchern und zu segnen, damit kein Unheil über das Haus kommen möge. Das ist bei uns so Brauch in den Rauhnächten. Inzwischen waren die Frauen in der Küche fertig und man kniete sich an der Bank nieder um den Rosenkranz zu beten, wie es am Hl. Abend üblich ist. Vor Mitternacht zog man sich dann warm an um zur Christmette zu gehen, einer aber musste zu Hause bleiben um auf die Kinder und eben auf Haus und Hof aufzupassen, denn in den Rauhnächten trieben sich ja laut Erzählungen wilde Gestalten durch die finstere Nacht. Als die Kirchgänger nach Hause kamen, fragte der Bauer den Knecht, welcher Wache gehalten hatte, ob etwas passiert sei. Dieser verneinte und sagte nur, dass der Wind ziemlich heftig an den Fensterlädern gerüttelt und mit lautem Heulen ums Haus gezogen sei. Der Bauer war beruhigt und man ging ins Bett, denn man musste ja gleich wieder raus um Stallarbeiten zu verrichten.
Als der Rossknecht in der Früh, nachdem er die Petroleumlampe angezündet hatte, in den Stall ging um die Rösser zu füttern und um auszumisten, hängte er die Laterne an den Nagel an der Wand. Jetzt erst bemerkte er was mit seinen Rössern geschehen war. Die Mähnen und die Schwänze waren bei beiden Pferden wunderschön eingezopft und geschmückt und er brachte vor lauter Staunen den Mund nicht mehr zu. Als die anderen kamen, fragte er wer das gewesen ist und jeder verneinte. Auch der Knecht der Wache gehalten hatte wurde gefragt und er meinte, er wäre nie in den Rossstall gegangen – er war immer in der Stube. Und so rätselten sie wer das wohl gewesen ist, denn die Türen waren alle von innen verriegelt und im Stroh fand man auch keine Spuren. Auf einmal bekreuzigte sich die Dirn und sagte, dass werden die armen Seelen gewesen sein, denn die irren in den Rauhnächten herum und eine wird den Rössern die Mähnen und Schwänze gezopft haben, um nach einer guten Tat Erlösung zu finden. Nach einiger Überlegung und weil keine Spuren zu finden waren, stimmte man der Dirn zu und so wird es heute noch von Generation zu Generation weiter erzählt.
Quelle: Die Sammlung der Waidringer Sagen wurde im August 2007 von Herrn Viktor Olivier und dem Tourismusverband PillerseeTal zur Verfügung gestellt.