So war's einmal in St. Ulrich am Pillersee
"Nuarch", wie die Leute sagen, liegt abseits der großen Heerstraße und ist wohl geeignet, eine Heimstätte der Ruhe zu bleiben. Mancher Gast mag sich wundern, daß die Pfarrkirche im Norden der Gemeinde liegt und die Einwohner des großen Weilers Flecken bedeutend näher zur Pfarrkirche St. Jakob, "Haus" sagt der Eingeborene, haben. Die Überlieferung weiß aber zu berichten, daß die Kirche in Flecken gebaut werden sollte. Die Arbeiter hackten und verletzten sich bei den Holzarbeiten, so daß die Freude am Bau verlorenging. Jetzt erst wurde das Gotteshaus nahe am Pillersee aufgeführt.
Im Boden von alten Bauernstuben konnte man noch vor Jahren spitze Eindrücke sehen. Das waren die Überreste des Berchtllaufens. Diese Berchtln waren schön gekleidet, trugen ein Samtleibl, eine kurze Lederhose oder eine Bundhose, um den Hals einen Schlips. Der Kopf trug keine Larve, das Gesicht war nicht geschminkt. Die Hauptausrüstung war ein langer Stecken, der am einen Ende einen Stachel (eiserne Spitze) besaß, ein Stachelstecken. Um Sebastiani liefen die Berchtln. Da kamen sie in die Bauernstube hineingesaust und sprangen ein paarmal auf und nieder. Mit den Sohlen der Füße mußte der Überboden berührt werden, sonst war der Bercht nichts wert. Dieses Springen mit Hilfe des Stachelsteckens wollte aber geübt sein. Manch einer fiel auf den Boden herunter oder zog sich einen Gedärmbruch zu. Heute laufen nur noch "schiache" Berchten. Sie sind wie Anklöpfler gekleidet und vermummt, tragen eine Gesichtsmaske und sind schon um Dreikönig, meist um Sebastiani auf dem Weg.
Die Anklöpfler der Adventszeit hatten eine eigenartige Entwicklung genommen. Mit Musikinstrumenten, wie Ziehharmonika, Mundharmonika, Gitarre, ausgerüstet, zogen sie von Haus zu Haus. Es wurden lustige Heimatlieder gesungen, hierauf folgte der Zopftanz. Dann wurde ein selbst zusammengereimter Spruch aufgesagt, dem wieder Gesang und der Zopftanz folgte. Zum Abschluß wurde zur Musik noch etwas getanzt. Mit einem zweiten Spruch fand die Vorführung ihr Ende und es ging dem nächsten Hofe zu. Auch das ist vorbei! Heute kommen Anklöpfler, die Weihnachts- und andere Heimatlieder singen, meist aber nur etwas beten, um damit ein Geschenk zu erheischen.
Am Pillersee hat es auch viel gegeistert. Da war vor allem das Wibm - Kitz, das sich zu nächtlicher Stunde durch furchtbares Schreien bemerkbar machte. Im Winter war es aber nicht zu hören. Manche Leute glaubten, daß es ein Vogel gewesen sei. Weizenjäterinnen wollten einmal den Geist erlösen. Durch Nachahmen der Stimme hatten sie aber den Geist so nahe herangelockt, daß die furchtbaren Schreie in nächster Nähe ertönten. Da packte die Weiber das Grausen und sie rannten alle davon. Heute ist das Kitz nicht mehr zu hören, ältere Bewohner erinnern sich gut daran.
Beim Schneider-Stadl, heute wegen Tausches Uhln-Stadl genannt, war nachts häufig das Licht einer Buchl zu sehen. Eine Buchl besteht aus einer Anzahl Holzspänen, die zur Beleuchtung angezündet werden. Vor Jahrzehnten noch gingen die Leute im Advent mit brennenden Buchln zum Rorateamt. Diese Schneiderstadl-Buchl bewegte sich von der Gasse bis zur Ötz und zum Matheisen-Gattern, dann zum Koglfasser-Waldl, wieder zurück und flog immer wieder in den Stadl hinein. Ein alter Adlbauer ging einmal zeitlich früh zum Markt. Der "Weberer-Hans sollte mitkommen. Als er ihn hinter sich zu verspüren glaubte, rief er: "Guat Morgn, Hons!" Da sauste aber auch die Buchl an ihm vorbei. - Auch im Fleckner Ried wurde öfters eine Buchl beobachtet.
Stallgeister machten sich zu Roischen und Matheisen bemerkbar. Im Matheisenstall sind noch heute Löcher im Futterbarren zu sehen. Eine Kuh hatte mehrmals furchtbar gewütet und mit ihren Hörnern in den Barren hineingestoßen. Mit einem argen Knall ging jedesmal die Erscheinung zu Ende. Von den Menschen konnte aber nie der Geist gesehen werden.
So wissen auch die Nuarcher so manches aus alter Zeit zu erzählen. Und wenn es schon am Morgen regnet, ist es gut, sich um einen Hoangascht umzusehen, denn "der Morgenregen kommt im Tag neunmal zwegen"!
Quelle: Ludwig Weinold, So war's einmal in St. Ulrich am Pillersee, in: Tiroler Heimatblätter, Heft 7 / 9, 1960, S. 84 - 85.