DIE SAGE VOM KLAUSNER IM WASSERTAL
Am sog. Magerhart, einer Weidefläche am Fuße des Rammelschrofens, öffnet sich ein tiefer Graben, mit Erlen bestockt, von einem kleinen Bächlein durchrieselt, das steil gegen den Leiner Steg zum Pitzbach abfällt.
In diesem Tälchen, im Volksmund "Wassertal" genannt, stand vor vielen Jahren eine Klausnerhütte, von einem Eremiten bewohnt und allgemein bekannt unter dem Namen "Bruder Klaus". Unwirtlich war die Gegend, dürftig und windschief die Hütte, daneben ein kleines, aber wohlgepflegtes Gärtchen. Einfach war die Ausstattung der Hütte: Ein Betstuhl mit einem Kruzifix und einem Totenschädel, und ein großer Rosenkranz mit Holzkorallen. In der Ecke ein Bretterlager mit einem Kieselstein als Kopfkissen.
Nicht selten suchten die Umwohner den frommen Klausner auf, um sich Rat zu erholen oder sich seinem Gebete anzuempfehlen. An Sonn- und Feiertagen begab er sich in den Gottesdienst nach Wenns, um dort die hl. Sakramente zu empfangen und sich neue Kraft zu holen gegen Versuchungen und Gefahren, die dem Menschen auch in der Einsamkeit nicht erspart bleiben.
An einem schönen Maientage, als sich Bruder Klaus nach dem Gottesdienste auf den Heimweg begab, hörte er im Vorübergehen an einem Gasthaus rauschende Musik. Langsam wurde sein Schritt und er fing an mit sich, selbst zu hadern, warum er eigentlich die Welt verlassen und sich in der unwirtlichen Einöde vergraben habe.
Als er zum Leiner Steg kam, der über den Pitzbach führt, versperrte ihm eine Schlange den Übergang, indem sie sich aufrichtete und gegen ihn züngelte. Es schien ihm, als spreche die Schlange: "Bruder Klaus, siehst du nicht hier das Leben, Lust und Fröhlichkeit, und in deiner Klause die Öde und Verlassenheit und Sorge? Warum genießest du nicht auch das Leben und vertrauerst es einsam inmitten wilder Tiere? Das ist töricht und unvernünftig, weil der Mensch ein gesellschaftliches Wesen ist; und Gott selbst gesagt hat: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein seil"
Schwer war die Versuchung! Doch Bruder Klaus richtete sein Auge aufwärts zur Klause und sah dort den Totenschädel und das Kreuz mit dem blutenden Heiland und sagte dann: "Nein, ich vertausche nicht Zeitliches um Ewiges, kurze Lust mit ewiger Pein und Qual!" Und er machte das Kreuzzeichen, worauf die Schlange sofort verschwand ! Frohgemut über den errungenen Sieg, kehrte Bruder Klaus hierauf in seine, Zelle zurück.
Quelle: Alte Sagen in Wenns, Denk- und Bitt-Schrift zur Restaurierung der Pfarrkirche und St. Margaretenkirche in Wenns, Alois Wassermann, Innsbruck 1925, Seite98