DER JUCHEZER AUF DER LARCHER ALPE
Auf den östlichen Hängen des Venetgebirges besitzt der Weiler Larchach eine Kuhalpe, die auf einer Seite in das sog. "Gsteinig" abfällt, mit uralten bemoosten Tannen und erratischen Blöcken bedeckt.
Paul Flora, Pastorale
aus "Die verwurzelten Tiroler und ihre bösen Feinde"
© EDITION GALERIE THOMAS FLORA
Vor vielen Jahren waren nun die Kühe der Larcherbauern einem gewissenlosen
Hirten anvertraut, der mehr auf sich selbst als auf das Wohl seiner Herde
bedacht war. Unter der letzteren befand sich die Kuh einer armen Witwe,
die sich gern abseits in die Bergwiesen hinschlich, wobei sie eine gefährliche
Stelle passieren mußte. Oft mußte sie deshalb der Hirt von
der Wiese zurücktreiben, was ihm mehr und mehr lästig fiel.
Um sich nun der Mühe gänzlieb zu überheben, legte er der
Kuh an der gefährlichen Stelle eine frisch abgeschälte, schlüpfrige
Baumrinde, wo sie dann wirklich ausschlüpfte und in den tiefen Abgrund
fiel, wo sie zerschmettert liegen blieb. Bei deren Sturz nun stieß
der rohe, gewissenlose Hirt einen hellen Juchezer aus. Diese Kuh war aber
der einzige Reichtum der Witwe und ihrer vielen Kinder gewesen. Darum
konnte die Seele des gewissenlosen Hirten nach dem Tode keine Ruhe finden.
In nächtlicher Weile tönt ein heller Juchezer über die
friedlichen Halden, und weckt im Sommer die müden Schläfer in
den Bergwiesen und erinnert sie an- die göttliche Gerechtigkeit und
an die himmelschreiende Sünde von der Unterdrückung der Armen,
Witwen und Waisen.
Quelle: Alte Sagen in Wenns, Denk- und Bitt-Schrift zur Restaurierung der Pfarrkirche und St. Margaretenkirche in Wenns, Alois Wassermann, Innsbruck 1925, Seite94