DIE SAGE VOM WALDSTREIT
In grauer Vorzeit, als noch unsere Gegend mit dichtem Urwald überzogen war, worin Bären, Wölfe und Auerochsen hausten und nur wenige Siedlungen bestanden, war noch kein geordnetes Gemeinwesen. Die Besitzer solcher Gehöfte konnten ungehindert ihre Nutzungen auf Grund und Boden suchen, wo es ihnen beliebte. "Wunn und Weide", wie der alte Ausdruck lautet, war für jeden Inhaber einer Hofstatt überall zugänglich. Erst nachdem die Bevölkerung zunahm und die Wälder sich mehr und mehr lichteten für neue Siedlungen, fing man an, zwischen den Nachbarschaften bestimmte Grenzen zu ziehen, innerhalb deren Wunn und Weide jeder Siedlung zu eigen sein soll.
In dieser Zeit ergab sich die Notwendigkeit, daß sich die Bewohner des "Wennertales", wie damals unsere Gegend genannt wurde, mit der Nachbarschaft von Fließ über, eine bestimmte Waldgrenze einigen sollten.
Nach beiderseitiger Vereinbarung sollte an einem bestimmten Tage beim ersten Hahnenschrei in Fließ und Wenns eine bestimmte Anzahl Männer gegen die Pillerhöhe, aufbrechen, und dort, wo sie zusammentreffen, sollte die Grenze sein.
Eine Fließer Bäuerin nun, in deren Haus sich die betreffende "Grenzkommission", wie man, heute sagen würde, versammelte, nahm den Hahn lang vorzeitig aus der Steige, worauf er krähte und die Männer infolge dessen früher aufbrachen als die Wenner. Sie drangen also noch weit über die Piller Höhe vor und kamen herab bis Moosanger, wo sie erst die Wenner Kommission trafen. Die Übervorteilung der Wenner war zu offenbar, als daß sie hätte unbemerkt bleiben können. Deshalb entstand ein heftiger Streit zwischen diesen Gemeinden. Vor noch wenigen Jahrzehnten wurde jener Platz oberhalb des Hohlweges auf der "Schlate", wo sich rechts am Weg ein moosiger Weidegrund befindet, "am Streit" genannt. Der Ort war durch eine hohe Säule als Bezirksgrenze bezeichnet.
Quelle: Alte Sagen in Wenns, Denk- und Bitt-Schrift
zur Restaurierung der Pfarrkirche und St. Margaretenkirche in Wenns, Alois
Wassermann, Innsbruck 1925, Seite95