Der Hexenspielmann von Hötting
Es hat immer Zeiten gegeben, in denen es den Musikanten nicht gerade gut ging. Wenn die Ernte schlecht und das Geld knapp war, hatten die Leute wenig Lust auf ein Tänzchen, und da musste ein Spielmann schon zusehen, wie er sein Brot verdiente. Und an das Alter, wenn die Finger und die Beine den Dienst versagten, musste man auch denken.
Der Spielmann von Hötting kannte diese Sorgen nur allzu gut. Was half es ihm, dass er seine Geige zum Klingen brachte wie kaum einer sonst! Einmal hatte er wieder in einem Wirtshaus unermüdlich aufgespielt und ging spät in der Nacht todmüde heim. Zum Lohn für seine Mühe klingelten nur ein paar armselige Münzen in seiner Tasche. Dadurch brach ein fröhliches Lachen seine trüben Gedanken. Er blickte auf und sah sich mit einemmal von einer Schar bildhübscher, übermütiger Frauenzimmer umringt.
„Willst du uns aufspielen?“ redete ihn die Schönste an, und irgend etwas in dem Spielmann sagte laut und deutlich: „Nein!“ Er wollte sich auf seine Müdigkeit ausreden, dann aber dachte er: „Es wäre töricht, das nicht anzunehmen. Vielleicht kann ich mir einen Batzen Geld verdienen.“
Er verneigte sich also recht höflich und sagte: „Ich stehe den Damen zu Diensten. Ob es gleich an Ort und Stelle angenehm ist?“ „Aber, aber!“ riefen die munteren Frauen. „Was so ein Spielmann denkt! So arm sind wir nicht, dass wir unsere Feste im Freien feiern, ohne den Wein aus Kristallkaraffen zu trinken und von silbernen Tellern zu essen.“ Und sie bedeuteten ihm, mit ihnen zu kommen.
Es war ein weiter Weg, bis über Zirl hinaus. Der Musikant hatte genügend Gelegenheit, sich über die seltsame Gesellschaft zu wundern. Was mochten das für Frauen sein? Sie betrugen sich nicht wie die anderen, die er kannte. Es war etwas Wildes, Ungebärdiges in ihnen, ihr Lachen klang schriller, ihre Scherze waren freier und man fühlte sich in ihrer Gegenwart nicht richtig wohl.
„Ach was!“ redete er sich selber zu. „Bin ich ein Pfarrer oder ein Richter? Was schert’s mich, für wen ich spiele! Die guten Sitten machen mich nicht satt, und ich selbst tue ja nichts Böses. Ich mache nur Musik.“
Sie waren mittlerweile zwischen Aigenhofen und Dirschenbach angelangt und wieder musste der Musikant den Kopf schütteln. Was war das für ein prächtiges Gebäude! „So oft in meinem Leben bin ich hier schon vorbeigekommen, aber dieses Haus kenne ich nicht. Das hätte ich doch sehen müssen, so groß und prächtig wie es ist. Kein anderes im ganzen Umkreis kann sich damit messen. Bin ich denn blind?“ Es war auch kein neuer Bau, wie man an dem Zierat sehen konnte.
Die Schönen ließen ihm keine Zeit, länger darüber nachzudenken. Unter Lachen und Scherzen zogen sie ihn in einen von Hunderten Kerzen hell erleuchteten Saal. Da funkelte Kristall, da schimmerte Seide, und auf dem Parkett drehten sich schon einige Paare in einem wilden, aber lautlosen Tanz.
„Du siehst“, lachte die Schönste von Ihnen, „alles ist da, jetzt fehlt uns nur noch die Musik. Darum sind einige von uns ausgezogen, um dich zu holen.“
Und schon hob der Spielmann seine Geige ans Kinn, schon berührte sein Bogen die Saiten – da fiel sein Blick auf das Gesicht eines Mannes. Es war ein schönes, düsteres Gesicht mit zornigen Augen, und auch die anderen Männer im Saal sahen nicht sehr fröhlich aus.
„Was hast du denn?“ fragte die Schönste, als er nicht beginnen wollte zu spielen, und zupfte ihn am Ärmel. „Fang endlich an! Es soll dein Schaden nicht sein.“ Er begann. Und noch nie hatte seine Geige so geklungen wie in dieser Nacht. Der Bogen flog wie von selber über die Saiten – dennoch klang die Musik nicht so fröhlich und harmonisch wie sonst. Es war eine Tollheit in den Klängen, die den Fiedler selber erschreckte, und toll trieben es auch die Paare im Saal. Die Weiber kreischten wie verrückt, und die Männer gaben unheimliche, stöhnende, klagende Laute von sich. Vielleicht hätte der Spielmann schon längst das Weite gesucht, hätte ihn nicht immer wieder eine Schar hübscher Mädchen umringt und ihn mit allerlei Leckerbissen gefüttert, von denen er sonst nicht einmal zu träumen wagte. Da gab es die feinsten Würste aller Art, Eier, auf vielerlei Art zubereitet, Gesottenes, Gebratenes, Gebackenes, sogar köstliche Wacholderdrosseln. Und was er nicht mehr essen konnte, stopfte sich der Spielmann als Vorrat für den nächsten Tag in die Tasche.
Aber noch seltsamer war, dass er in dem ganzen Trubel plötzlich an seine Mutter denken musste. Sie war früh verstorben, und die Erinnerung an sie war mit den Jahren verblasst. Jetzt aber hatte er ihr ruhiges , gütiges Gesicht wieder vor Augen und meinte, auch ihre Stimme zu hören. „Nicht alles ist das, was es zu sein vorgibt“ schien sie zu sagen. „Hinter einer schönen Larve kann die Gemeinheit lauern, hinter Scherz und Spiel das Böse mit all seiner Macht, hinter festlichem Glanz das höllische Feuer.“
Mag sein, dass Musikanten mehr spüren als gewöhnliche Menschen, er jedenfalls glaubte eine tödliche Gefahr zu wittern, aber er wusste nicht, wie er ihr entgehen sollte.
„Ich bin müde. Ich muss gehen“, versuchte er sich loszumachen. Aber die Frauen lachten nur.
„Asch was“, riefen sie, „wir sagen dir schon, wann unser Fest zu Ende ist. Und bis dahin wollen wir tanzen.“
Und wieder hörte er die Stimme seiner Mutter: „Erinnere dich, wie es früher war! Da haben die Spielleute am Ende jeder Lustbarkeit ein frommes Lied gespielt.“
Nun, das Frommsein hatte der Musikant längst vergessen, und so wollte ihm auch kein passendes Lied einfallen. Plötzlich aber hörte er, erst leise, dann immer stärker und den Lärm übertönend, wie seine Mutter eine Melodie aus seiner Kindheit summte. Und wie im Traum setzte er den Bogen an, um die festliche Nacht mit diesen frommen Klängen zu beschließen.
Aber schon beim ersten ton geschah etwas Fürchterliches: die schönen Gesichter der Tanzenden wurden zu hässlichen, bösen Fratzen. Aus dem Boden züngelten Flammen, immer höher züngelten sie und erfüllten den ganzen Saal, bis das Gebäude unter ungeheurem Getöse in sich zusammenfiel. Dazu ein Gekreische und ein Heulen, als müssten alle Sünder der Welt in die Verdammnis fahren. Es war wie ein Blick in die Hölle….
Als der Spielmann aus seiner Betäubung erwachte, sah er sich ganz allein im Morgengrauen auf einem nackten Felsen liegen. Er lag lange da und vermochte sich nicht zu bewegen, erst mit den wärmenden Sonnenstrahlen kam er langsam wieder zu vollem Bewusstsein. Mit dem Tag kam aber auch der Hunger über ihn, und – als er sie aber hervorzog, musste er sehen, dass all die Leckerbissen von gestern nichts anderes waren als Kröten und ekliges Gewürm.
„Täuschung und Betrug!“ schrie er auf und schüttelte das scheußliche Zeug aus den Taschen. „Das also habe ich heute Nacht mit solchem Genuss gegessen!“
Es wurde ihm so übel, dass er erbrechen musste, bis sein Magen endlich völlig leer war. Dann lief er zu einem Bergbach, der glücklicherweise ganz in der Nähe über die Steine sprang, und trank von dem klaren Wasser und wusch sich Hände und Gesicht, bis er sich wieder halbwegs gereinigt fühlte.
Wie alles im Leben vergeht, so wichen auch Entsetzen und Ekel allmählich von ihm, und was dem Spielmann von dieser Nacht blieb, war letztlich eine wunderschöne Melodie: das Lied aus seiner Kindheit , das ihm seine Mutter vorgesungen hatte und das ihn jetzt gerettet hatte. Das Lied, das ihn bald im ganzen Land bekannt machte, weil viele Leute es hören wollten. Nur die Bösen, so heiß es, konnten es nicht ertragen.
Quelle: Der Hexenspielmann von Hötting, nacherzählt von Andreas Leimbeck, Hauptschule Völs, 1. Klasse 1. Leistungsgruppe, Lehrerin Gabriele Praxmarer, Emailzusendung vom 6. April 2006