Der verbannte Marcher-Bauer auf dem großen Ellmauer Tor.
Steigt man von Ellmau, dem Ein- und Ausgangs-Punkt für die südlichen Kaisergebirgstouren, zum Großen Ellmauer Tor empor, so kommt man dort auch zu dem verbannten Marcherbauern.
Ein Griesener Bauerssohn wurde im Jahre 1770 im Kitzbüheler Gerichtsbezirke wegen schlechten Lebenswandels für vogelfrei erklärt. Er flüchtete sich über das Große Ellmauer Tor und kam auf die Wochenbrunner Alpe, welche dem Marcherbauern in Ellmau gehörte. Da fragte er den Senner, ob er ihm keine Heimatstochter zum Heiraten wisse; dieser sagte, er wisse nur die Tochter von seinem Bauern, diese sei aber zu jung. Der Griesener ging zum Marcherbauern und stand da im Dienste ein. Als ein kräftiger, fleißiger Arbeiter gewann er bald des Bauern Vertrauen und als schöner, beredter Mann des Töchterleins Liebe, und so ward trotz des Mädchens jugendlichen Alters bald Hochzeit gefeiert. Als nach einigen Jahren der Vater starb, übernahm der Schwiegersohn mit seinem Weibe das Marcherbauernanwesen als Eigentum. Der neue Marcherbauer war ein sehr verständiger Bauer, sodaß er in Ellmau viel galt; aber wegen seiner Habgier, seines Geizes und der harten Behandlung der Dienstboten war er völlig gefürchtet. Man sagte, daß er am Gericht in Kufstein einen eigenen Arrest für die ihm durchgegangenen Dienstboten hatte, welche das Gericht ihm wieder einlieferte. Sein gutherziges Weib hatte Mitleid mit den Dienstboten, weshalb er sie haßte und nicht minder hart und rücksichtslos behandelte. Als sie einmal in hochgesegneten Umständen um Schonung bat, befahl er ihr, auf einen Kirschbaum zu steigen und Kirschen zu pflücken, da sie jetzt sonst nichts verdienen könne.
Das arme Weib, welchem er doch, all' seinen Besitz verdankte, mußte sich infolge der erlittenen Kränkung zu Bette legen und wurde noch wahrend der Nacht von einem Mädchen entbunden. Während man das Kind zur Taufe trug, stand die Bäuerin auf und sagte zur Wärterin: "Laß mich gehen, ich sterbe!", worauf sie augenblicklich verschied. Ueber ein Jahr heiratete der Bauer wieder, und zwar diesmal eine nach seinem Schlage, ebenso geizig und hartherzig wie er, weshalb sie es auch zu großem Reichtum brachten. Als der Bauer seine zusammengescharrten Schätze nirgends mehr sicher wußte, vergrub er sie heimlich. Nun starb aber der Geizhals jähen Todes und niemand wußte, wohin er das Geld vergraben hatte. Die Tochter vom ersten Weibe bekam das Marcheranwesen, aber der Alte geisterte im Hause derart herum, daß es niemand aushalten konnte und auch niemand mehr bleiben wollte. Es wurde deshalb ein frommer Pater ersucht, den Marcher auszusegnen und zu verbannen. Dieser bannte ihn hinauf auf das große Ellmauer Tor, woher er einst gekommen war und wo er heute noch hausen soll. In dieser Steinwüste treibt der Bösericht noch manch Unwesen, erschreckt viele Wanderer und legt den Gemsen Fallen, daß sie vom Felsen ausgleiten und sich zutode kugeln.
Vom Marcherhof war alles Glück gewichen, die Leute verarmten und das Gut ging in andere Hände über.
Quelle: Sagen aus dem Kaisergebirge, Anton Karg, Kufstein 1926, S. 61ff
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Leni Wallner, Mai 2006.
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