Das steinerne Jagerl.



Drunten beim Kleinhäusler Schwaib ist das alte Mutterl und kocht für ihren Buaben, den Jägersgehitfen Jörg, ein Brennsüppel. Grad ist er heimgekommen, ihr lieber Sohn. Ganz traurig ist das Mutterl, weil ihr Buab alleweil so dasig, so stad ist; schier blaß schaut er aus. Dem Buaben muß es schon recht schwer ums Herz sein, recht schwer. Jeder Schmerz des Sohnes brennt aber in der Mutterseele doppelt schwer; wenn die alte Schwaiberin sich auch gar nichts anmerken lassen will, so klingt doch jedes Wort aus ihrem Munde gepreßt und hart und berührt das Ohr ihres Sohnes fast gar nicht.

Der Jörg aber sitzt im dunkelsten Winkel des kleinen Zimmerchens, das Stube und Küche zugleich sein muß. An solchen Samstag - Abenden wie heute nimmt der Buab sonst meistens seine Gitarre her und spielt ein lustiges Liiedl oder singt ein paar Gschnaxn dazu. Aber heut! Nichts sagt er. Die Suppe, die ihm immer wohl mundete, versucht er nur und nur ein paar Löffel voll würgt er hinunter. Alle möglichen Gespräche möchte sie mit ihm anknüpfen. Vom Förstersepp erzählt sie, von der gachen Wand, von woher Steine herabgekollert seien, sicher von flüchtenden Gemsen herrührend. Aber was sie auch, erzählt, Jörgei nickt nur ab und zu und brummt etwas, das "Ja" bedeuten soll. Gleich, nach dem Essen nimmt er seinen Hut, ein kaum verständliches "Pfiat di Gott, Mutterl!" und draußen ist er.

Unter dem alten Birnbaum, der zwischen dem Jodlhof und dem Schweibershäuslein liegt, setzt er sich hin. Friedliche Abendstille schwebt über Feld und Hain, unermüdlich plaudern die Frösche und halten die Grillen lhre Abendgespräche. Die Vöglein sind schon in ihr Bettchen gestiegen und träumen von neu beginnender Lebenslust. Der alte Birnbaum schüttelt bedenklich sein Haupt. Was doch der schweigsame Bursche da sucht? Gar vielerlei Gespräche hat dieser altehrwürdige Baum mitangehört, vielen Liebesschwüren zugehorcht, auch manch , süßem Kuß hat er gelauscht. Könnte er erzählen, nimmer endend würden seine sonderbaren Geschichten werden. Er schweigt und teilt nur den linden Lüften seine Geheimnisse mit, wenn sie ihn liebkosend umwehen. Da kann er nicht mehr schweigen und er rauscht, rauscht in sanften und rauhen Tönen. Denn er singt das hohe Lied der Erinnerung.

Der Jäger da unter dem Baume auf der schier morschen Holzbank sinniert aber weiter und kümmert sich nicht um Birnbaum und Zwiesprache zwischen Baum und Lüften. Unwillkürlich schaut er auf. Ist das nicht das Moidl, sein Schatzerl, das so tief in seinem Herzen wohnt? Rascher und stärker pumpert's und klopft's in seinem Brustkasten. So frisch und leicht schreitet sie schnurstracks auf seine Bank zu. Fast aufjauchzen möcht' er vor Freud', wenn er wüßte, daß seinetwegen das Mädel zu ihm käme.

Ein kurzes "Grüß Gott!" und sie sitzt neben ihm. Reden möchte Jörg so viel, als er in langen Stunden gedacht, wohl allzu viel. Doch seine Lippen sind fest verschlossen, keine Silbe lassen sie hervor. Auch Moidl schweigt seltsamerweise und blickt verlegen auf ihre Füßchen. Herzallerliebste Hausschuhe hat sie angezogen. Wie sie doch die Füßchen so nett von sich streckt! Jörg nimmt alle seine Schneid zusammen und rauh poltert er nun los; es ist, als stürze ein Rauschbach aus weitem, sanftem Grunde über steile, felsige Wände.

"Moid, daß ich's sag. I muß dir's sagn: I hab di von Herzen lieb und wenn du mi nit magst, dann will i nimmer lebn. Schon lang hat's mir das Herz zug'schnürt, wenn i mir denkt han, daß i a armer Jagerbua und du a reiche Jodlhoferin. Aber woaßt, i will arbeitn für di, daß du es nit netter bei an Grafen habn kunntest."
Sagt das Diendl schnippisch: "Was war aber, wenn i di zum Beispiel koa bisserl gern hatt, nit amal so gern wie a Katz an Spatzen?"

"Moid, das ist schlecht von dir! Das verdien i nit! Das kannst zu an Lumpn sagn, zu an Saufbruder, aber nit zu an ehrlichen Burschen, der sein Leben lang niemandem was Schlechtes tan hat."

Aufgestanden ist der Bursch dabei. Wenn ihn nichts in die Hitz' bringen konnte, diesmal wühlte der Schmerz an zu stark brennenden Wunden.

Aber auch das Diendl springt auf. Zornig stampft sie auf den Boden und schreit schier: "I mag kein feigen Buabm. Aber willst mir zeigen, daß du a Schneid hast, dann steig auffi morgen zum gachen Gwand und hol a Gams herab!" Einen blitzenden Blick wirft sie dem Jäger zu, dann jagt sie dem Bauernhofe zu.

Schwer atmend kommt der Jäger in das armselige Stübchen. Die Mutter ist in ihrem Kämmerlein und betet ihr Abendgebet: diesmal werden's wohl lauter Vaterunser für ihren lieben Buabm sein. Der reißt sein Jagdgewehr von der Wand, hängt den Patronensack um und stürmt hinaus in die stockfinstere Nacht. Nichts sieht er. Auf Schritt und Tritt schaut ihn die schwarze, unheildrohende Nacht an. Von alldem merkt aber der hastig dahineilende Jäger nichts. Er fühlt nur die heißen Blutströme in seinem Inneren kreisen, er will nur Vergeltung für diese Worte. Er feig! Ja, überlegt hat er er alle seine Taten, gut überlegt und abgewogen. Aber Feigheit hat ihn noch vor keiner Tat zurückgeschreckt. Und wenn auch bald der Sonntag kommen sollte, aber zu feig, die gefahrdrohenden Geschröfe der gachen Wand zu übersteigen, ist er nicht. Nein und nimmer. Diese Gedanken treiben seine Schritte zur höchsten Eile an. Totenstille herrscht. Nur die Eule schwätzt ab und zu.  In Jörgens Brust aber wogt eine Welt von Gedanken und Gefühlen. Er eilt weiter, stürmt, angetrieben von der Dampfhitze seines Herzens fort. Er rast dahin, fort und fort, weiter und weiter,
immer höher und höher.  ---  ---  ---

In goldener Pracht erwacht der neue Sonntag. Feld und Flur liegen in lachender Wonne vor dem Auge des Beschauers, Ein Herz aber kennt und sieht diese Pracht nicht. Kalt, öde und gramdurchwühlt schaut es drinnen aus. Es ist das Herz der Moid. Schweißbedeckt stand sie beim schwachen Morgengrauen auf, nachdem sie eine schlaflose Nacht verbracht hatte; zitternd und fiebernd an allen Gebeinen, schwankte sie zur Tür hinaus. Beißende und stechende Gedanken wühlen in ihrem Hirne. Die Reue haust unheimlich in ihrem Innersten. Nun fühlt sie mit grausamer Macht, daß sie den Jörg in den Tod getrieben. Nun fühlt sie aber auch, ach, viel zu spät, daß sie nur ihn liebt. Ganz verkannt hat sie ihre Liebe zu ihm. Ihr unselig Wesen wollte nicht den Glauben daran aufkommen lassen. Nun aber steht die Liebe groß, stark und unverhüllt vor ihren Augen. Ihr eigener Widerstand ist gebrochen und nun durchbraust die gewaltige Liebe ihre Seele. Unerträglich ist dieser Sturm. Sie stürmt hinaus! Hinauf zu den steilen Höhen der gachen Gwand will sie. Sie muß droben sein! Dem Jörg will sie vor die Füße fallen, bis zur letzten Faser ihres Herzens will sie ihm ihr Leid darzeigen und ihn um Verzeihung bitten. Mit ewiger Liebe will sie ihm in seine treuen Augen schauen, sich nimmer satt daran trinken. Ach, nur ein einziges Wort möchte sie von seinen Lippen hören, nur einen einzigen warmen Händedruck fühlen.   Sie will!   Hinauf stürmt sie, hinauf! --- --- ----

Und sie wandelt ewigen Höhen entgegen.

Drunten im armseligen Stübchen kniet das Schwaibermütterlein. So schwer war ihr noch, nie ums Herz, wie gerade heute. Nicht einmal der sonnige, lachende, ruhebringende Sonntag vermag ihr Trost zu verschaffen. Sie kniet sich hin zur Ofenbank, zieht ihren Rosenkranz hervor, wickelt ihn um die knöchernen und leise zitternden Hände und betet inbrünstig wie noch nie. Leise verhallend klingt ihr immer schwächer werdendes Gebet durch den schmucklosen Raum. So flehentlich, hat das Mütterlein lange nicht mehr gebetet. Es ist, als durchströme eine rosige Flut das stille Kämmerlein. "— — Vergib uns unsere Schulden, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern."

Der Jörg und die Moid blieben verschwunden und keines Menschen Auge hat jemals davon Kunde erhalten.

Der Jörg aber soll durch, Zauber versteinert worden sein und ist noch heute bekannt als das steinerne Jagerl im Kaisergebirge. Von der Moid gibt aber nichts mehr Zeugnis, sie ist dem Volksmunde entschwunden. Vielleicht weiß ein Leser hierüber Bescheid.

Hans Vogl, Erl

Quelle: Sagen aus dem Kaisergebirge, Anton Karg, Kufstein 1926, S. 52ff
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Leni Wallner, Mai 2006.
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