Der Friedhof am Steinberg.



Der Gaberl ist am Steinberg auf der Alm gewesen. Die Hütte und was sonst alles zu richten, ist wieder in guten Stand gesetzt, und er hat für seine Thresl einen schönen Strauß Steinbleamln mitgebracht. Er hatte es sich schon so eingerichtet, daß er gerade um dieselbe Stunde nach Hause kam, wo die Thresl mit dem Vieh zum Wassern gefahren ist. Merkwürdig, wie das Vieh die Zeit weiß, wann es zur Almfahrt geht.  Es wird unruhig, will nimmer in den Stall hinein und will halt gerade fort. So hat auch, die Thresl heute ihre schwere Not damit, und wie sie so umspringt, kommt der Gaberl mit dem Strauß daher. "Thresl," sagt er, "einen schönen Gruß vom Steinberg, in acht Tag hab' ich g'sagt, kommst, dort fahren wir auch auf, und da fahren wir wieder mitsammen." Die Theresl nimmt den Strauß, riecht an den schönen, gelben Aurikeln und sagt traurig: "Ich dank' dir schön, Gaberl, aber ich weiß nicht, ich freue mich heuer nicht so d'rauf, wie  andere Jahr."  "O mein," meint der Gaberl, "bist, einmal oben auf der Alm, nachher wird es schon wieder lustig, Theresl, jetzt b'hüt dich Gott," und der Gaberl ist wieder dahin. 

Brentenjoch
Blick vom Brentenjoch auf den Wilden Kaiser

Der Tag der Almauffahrt kam heran.  In Theres und Gaberls Elternhaus war in aller Frühe schon alles  lebendig. Gefüttert und gemolken war, die Stalltür ging auf und heraus rumpelte das Vieh. Die Theresl war sauber und nett beisammen mit ihrem schwarzen Mieder, in Hemdärmeln, schneeweißem Schürzerl und auf dem feschen Brixentalerhütl ein Büscherl mit einem Rosmarinstangerl. So steht sie vor ihrer Mutter mit aufgehobenen Händen. Die Mutter besprengt sie  dreimal mit Weichbrunn und g'segn't sie dreimal und sagt: "Sei fein brav, Theresia  hab'  Gott  vor  Augen, schau auf deine Seel', und paß auf das Vieh auf! So, jetzt in Gottes Namen, b'hüt dich Gott, und  komm' frisch und gesund wieder nach Hause!"   "B'hüt dich Gott, Mutter," sagte sie, "und bleib fein du auch gesund und wohlauf!" Jetzt ging es hinaus und dahin. Gaberl mit seinen Leuten und dem Vieh war  schon voraus. Die ganze Nachbarschaft war versammelt. Es war ein Abschiednehmen von allen Seiten; denn die Theresl hatte ja alles gern. Gaberls und Theresls Väter sind mit den Trägern, die das Bettzeug, Geschirr und dergleichen tragen, vorausgegangen. Auf geht es jetzt mit der Fahrt über den Kienberg an der Duxerer Alm vorüber dem Brentenjoch zu. Am Brentenjoch oben angelangt, schaut die Theresl zum erstenmal wieder seit dem langen Winter mit Freuden hinüber zum Steinberg. Das Totenkirchl, die Halt, das Sonneck, die mächtigen Massen des Scheffauerkaisers waren herrlich von der Sonne beschienen, und unter den gewaltigen Abstürzen des Steinberges lagen, wie ein Dorf ausgebreitet, die Steinberger Alpen mit ihrer Kapelle. Glockengeläute, Jodler und Jauchzer hallten herüber, denn drüben über dem Graben des Gaisbaches fährt eben Gaberl mit seiner Herde hinauf: er hat die Theresl auf dem Joche gesehen, er schwingt seinen Hut, juchzt herüber, die Theresl und ihre Leute wieder hinüber, und so geht die Almfahrt bis zu den Hütten. Die meisten waren schon eingezogen, das war ein Grüßgottsagen durcheinander und ein freudiges Begrüßen. Dann aber ging es rasch an die Arbeit: denn es war viel zu tun. Die Alpenbesitzer, die meistens selbst gekommen waren, standen bei der Kapelle zusammen, um manches Gemeinsame zu besprechen. Da trat der Gaberl hinzu und sagte zu seinem Vater: "Macht's doch aus, daß gleich der Zaun bei der Steinlahn g'macht wird, bevor wieder ein Unglück geschieht; es ist so der reinste Friedhof da drüben, was da schon alles zugrunde gegangen ist." "Dies hat nicht so sehr Eil," hieß es in der Runde der Alten, "man hat jetzt zu Hause noch dringende Arbeit." "So heißt es alle Jahr', und geschehen tut es nie," sagte der Gaberl und ging verdrossen weg.

Die Stunden waren rasch vergangen, die Alten machten Anstalt zur Heimkehr, Treiber und Träger und alles, was nicht auf der Alpe zu bleiben hatte, zog heimwärts, und so nahm auch der Gaberl von der Theresl Abschied und folgte seinem Vater nach. Schon waren zwei Wochen seit der Almauffahrt verflossen, es war gerade an einem Samstag-Abend, als die Theresl nach ihrer Arbeit zum Gebet in die Kapelle ging. Von den vielen Gebetbüchern, die da in den Betstühlen herumlagen, nahm sie ein recht altes zur Hand, schlug es auf und las: "Herr, bleib' bei uns, es will Abend werden!" Da hörte sie draußen schreien: "Theresl, Theresl, Dein Scheck ist in der Steinlahn drüben." Rasch sprang sie hinaus und hinüber, um die Kuh auszutreiben, aber als sie in der Mitte der Steinlahn war, krachte es in der Höhe. Ein großer Stein stürzte ab, erschlug und begrub die Kuh, und die nachstürzende Steinlahn riß die Theresl mit. Aus allen Hütten liefen Leute zur Rettung herbei und bald zog man die Theresl aus dem Steingeröll.  Ein heilkundiger Senner legte Hand an, während die anderen um die Unglückliche standen und knieten. Da kam der Gaberl, es war ja Samstag, und auf heute hatte er versprochen, zu kommen. Er hatte den Krach gehört und den Steinfall gesehen, er sah die Leute der Steinlahn zueilen, und so sprang auch er in böser Ahnung mit all' seinen Leibeskräften zur Stelle.

"Die Theresl ist es", lispelte man. "Da haben wir den Friedhof," rief der Gaberl, und laut schluchzend kniete er sich nieder zu seiner Geliebten. "Laß, laß sie, seid ruhig," wehrte der Almdoktor ab, "sie lebt, bringt Wasser und Branntwein, horch du, und das grüne Flaschl ober mein' Bett", rief der Senner den Leuten nach, die sich eilten, das Befohlene zu bringen. Wie nun der Alte seine kundige Hilfe leistete, schlug die Theresl die Augen auf. Man brachte sie auf einem Traggestell in ihre Alp-Hütte. Außer dem Schrecken und einigen leichteren Wunden war sie glücklich davongekommen und unter sorgsamer Pflege bald wieder frisch und gesund geworden. Gaberl aber blieb auf der Alm; er schickte zu seinen Eltern die Botschaft, was geschehen war, und arbeitete an der Abzäunung der Steinlahn, bis dieselbe vollständig umfriedet war, wofür diesem Platz bis heute noch, der Name "Friedhof" blieb. Gaberl und Theresl wurden später ein glückliches Paar und ihre Kinder und Kindeskinder erzählten lange noch die Geschichte Von dem Friedhof am Steinberg.

Quelle: Sagen aus dem Kaisergebirge, Anton Karg, Kufstein 1926, S. 82
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Leni Wallner, Juli 2006.
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