Vorwort zu den früheren Auflagen.
Motto:
Bald werden wir ihn sehen, er wird sein Haupt uns zeigen,
Bald werden in die Lüfte die grauen Nebel steigen.
Ja dort, durch jene Lücke, dort lugt er schon hervor,
Der tausendtürmige Kaiser hebt seine Kron' empor.
In der Riesenkette der nördlichen Kalkalpen, die stolz auf Bayerns und Oesterreichs Ebenen hinausschaut, zeichnet sich wie durch seinen Namen so durch die hochinteressante, wildkühne Formation seines Hauptkammes das Kaisergebirge, "der tausendtürmige Kaiser, der Markstein von Tirol", aus.
Unvergleichliche Genüsse erwarten hier den Freund wildeinsamer Hochgebirgsnatur. Da öffnen sich Schluchten und Klüfte, gespenstig sammeln sich dort die Nebelmassen und recken und strecken sich und heben sich empor und umflattern wie leichte Schleier die schneeigen Hochgipfel. Flüchtige Gemsen äsen ruhig und ungestört auf den weitgestreckten Geröllhalden und kaum unterbricht hin und wider der dumpfe Ton abrollender Steine die feierlich stille Ruhe. Dann aber jagt wieder die wilde Windsbraut um die felsigen Zinnen, bricht sich an den schneidigen Spitzen und Riffen und durchzieht in jammernden Tönen die Lüfte, oder donnerartiges Gepolter abstürzender Schneelawinen erschreckt den Fremdling.
Was wunder, wenn dem Wanderer die im bleichen Abendscheine gigantisch aufragenden Felsenkolosse wie eine rätselhafte Welt erscheinen, wenn bei einsamer Nachtwanderung Traumgebilde wie fahrende Irrlichter vor ihm aufleuchten und es ihm ist, als sehe er Gestalten längst vergangener Zeiten und als redeten die gewaltigen Formen der Urwelt mit ihm.
Was wunder auch, daß die umwohnenden Landleute einen alten großen deutschen Kaiser dort ruhen lassen und den herrlichen Berg selbst mit einem Kranze von Sagen und halb drolligen, halb schaurigen Märlein umwoben haben. Eine solche abgeschlossene, großartig wilde Natur ist ganz geeignet, die Phantasie im Menschen zu erregen und wer einmal solches gesehen, gehört und empfunden hat, der wundert sich nicht über die Entstehung dieser Sagen und ihr Fortleben im Munde der Gebirgsbewohner.
Auf meinen zahlreichen Touren in und um das Kaisergebilge hörte ich oft, ausruhend in Hütten und Gehöften, so manchen Klang solch' alter Sagen aus dem Munde des biederen Kaiserbergvölkleins. Ich horchte, frug und sammelte und was ich mit Beihilfe einiger Kaiserbergfreunde fand, das band ich zum anspruchslosen Hochgebirgssträußchen. Dieses möchte ich hiemit allen Freunden der Gebirgswelt überhaupt und des Kaisergebirges insbesondere darbieten als einen bescheidenen Gruß aus den Tiroler Bergen.
Anton Karg
Vorwort zur vierten Auflage.
Das vorliegende Buch, eine Neuauflage von Anton Kargs "Sagen aus dem Kaisergebirge", ist bereits in drei Auflagen, zuletzt im Frühjahr 1901 im Verlag der Buchhandlung Max Kellerer in München erschienen. Dieses bekannte Verlagshaus, welches das Buch mit einem künstlerischen Schmuck versehen hatte, überließ mir seinerzeit in entgegenkommender Weise das Verlagsrecht und ich freue mich, dadurch Gelegenheit zu haben, das einzig schöne Denkmal erhalten zu können, das sich Vater Karg durch seine Volkssagensammlung selbst errichtet hat. Ueberall, wo das Büchlein schon früher hinkam, hat es besten Anklang gefunden; es ist weit hinausgekommen in Stadt und Land, über Berg und Tal. Und jetzt tritt es - bereichert durch eine Anzahl neuer, durch unsern hochverdienten Heimatforscher Herrn Prof. Rudolf Sinwel in dankenswertester Weise überlassener Sagen, ergänzt mit einem Gedenkblatt für den verewigten Verfasser und geschmückt mit seinem Bildnis - seinen vierten Gang an über unsere Heimatberge. Möge es dabei wiederum recht gute Aufnahme finden. Den vielen Freunden des Kaisergebirges und seines Erschließers und Lobredners sei es eine liebe, getreue Erinnerung.
Eduard Lippott.
Quelle: Sagen aus dem Kaisergebirge, Anton Karg, Kufstein 1926, S. V - VI
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Leni Wallner, Mai 2006.
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