DER MORITZENSCHIMML
Dem Nassereither Boten ist es passiert, doch weiß niemand mehr, wie er geheißen hat, so lange ist's schon her. Dieser fuhr, je nach Bedarf, wöchentlich ein- oder zweimal schwerbeladen nach Innsbruck und wieder hochbepackt nach Nassereith. Herrschte tagsüber eine unbändige Hitze, so wussten sich diese Boten immer zu helfen. Sie verbrachten einen Teil ihrer Fahrzeit im kühlen Wirtshaus bei Wein und 'Pasch'32, ließen den Rossen 'fürgeben'33 und wehrten ihnen die 'Fluign und Bremen'34 mit der Glutpfanne ab, welche, je nach Windrichtung, vorn an der Deichsel oder hinter den Pferden unter dem Wagen angebracht war und mit glühenden Kohlen, Kranewittrinden, Sägemehl oder Hufschoaten gefüllt wurde, zwar meist einen pestialischen Gestank verbreitete, aber die Quälgeister von den Rossen fernhielt.
Heute war unser Bote schlecht aufgelegt. Nicht des Verdienstes wegen, sondern weil er immer Anstand hatte mit Roß und Wagen. Das Handroß war ein braves Vieh, darüber hatte er keine Klage, aber das Sattelroß war störrisch, seit er es letzte Woche verliehen hatte; es war vergrämt worden und daher zitterten seine Flanken, wenn auch nur ein Handwerksbursche sich streckte, der neben dem Weg im Schatten einer Staude eine kleine Rast gehalten hatte.
Es wurde Abend. Die Glutpfanne war längst verlöscht. Die Turmuhr der Pfarrkirche zu Telfs hatte so vielmal geschlagen, dass der Bote beim Zählen drausgekommen war.
"Ålso hü, eis Pangger35", und der Wirt schlug die Haustür zu, dass der 'Sattlinger'36 wieder einen Hupf machte. Aufwärts ging's, und so breit aufgeladen war die Fuhr, dass sie bei der Jack'nmühle gerade noch durchschlüpfte. Die heutige Vinzenz-Gredler-Straße bis zur Wendelin- und Bötlerkapelle auf dem Kapf war die steinigste und steilste Passage des Weges nach Mieming. Der Bote hätte für seinen schwer beladenen Wagen gern noch ein drittes Pferd beim Hackele am Bichl als 'Fürsetz'37 gemietet, aber es war schon dunkel im Haus und wecken wollte er auch niemanden. "Eis Botn hockts den gånz'n Nåchmittåg bis spat in d' Nåcht im Wirtshaus und inseroans kann z'mittlt in der Nåcht wegn die lumpign drei Kreuzer auftian und enk übern Berg helfn", so hätte wahrscheinlich der Hackele geschimpft, und diesen Vorwurf wollte sich der Bote ersparen.
"Hü, Hånteler, ziach", und dabei musste sich der Fuhrmann am Wagen halten, um nicht selbst die Richtung zu verlieren. Die Funken stoben unter den Hufen der schweren Pferde, die Steine knirschten unter den Wagenrädern, und die Pferde schnaubten und nüsterten.
Mehrmals blieben die Rosse zum Verschnaufen stehen, und immer wieder zogen sie mit erneuter Kraft an, sie wollten halt auch einmal heimkommen. Inzwischen wurde die Höhe der Wendelinkapelle erreicht, einige Fuhrwerke waren auf dem Ausstellweg abwärts gefahren. Da wurde nun die Bremse ordentlich zugezogen und einmal tüchtig verschnauft. Der Wein hatte dem Boten die Füße schwer und den Geist benebelt gemacht, sodass er sich vor der Kapelle auf die Bank setzen musste. "Heiliger Wendelin, du Königssohn - du großer Leut- und Lichtpatron, bitt - bitt f - ü - r - u - hrrr hrrr - ."
Der Bote war eingeschlafen, und auch die Pferde senkten den Kopf. Da erschien auf einmal ein helles Licht bei der 'Krönungskapelle' auf dem Weg nach St. Moritzen. Der blendendweiße, sagenhafte Schimmel war's, der dort graste. Des Boten Sattelroß bemerkte den Lichtschein sofort, wandte den Kopf nach der Richtung und 'juchzte' laut. Darüber schrak der Bote von seinem Schlummer auf. Noch zweimal wieherte das Botenpferd, und dreimal gab der leuchtende Schimmel Antwort. Unser Fuhrmann hatte schon oft von diesem Geisterschimmel gehört, und jetzt sah er ihn wirklich, wie er im Galopp auf sein Fuhrwerk zukam. Dem Boten wurde der Kopf schnell klarer, denn ein Geist ist nicht immer eine freudige Erscheinung.
Der Moritzenschimmel auf einem Schleicherhut dargestellt
© Wolfgang
Morscher, 30. Januar 2005 Telfs
Der leuchtende Schimmel war übriggeblieben von dem sagenhaften Schloss Eben bei Moritzen und trug einen goldenen Schlüssel zu den verborgenen ungeheuren Schätzen des verschwundenen Schlosses im Maul. Wer Herr dieses Schlüssels ist, findet auch den Zugang zur Schatzkammer und darf alles Gefundene sein Eigen nennen. Noch niemand aber hat den Schlüssel jemals in Händen gehalten, denn Wichtelmännlein bewachen den Schimmel und jagen ihn wieder in seinen Stall zurück, falls er den Menschen zu nahe kommt.
Der Schimmel trabte nun mit ungeheurer Schnelligkeit gegen die Botenpferde, der Atem aus seinen Nüstern war Silberstaub, der Zaum mit leuchtenden Edelsteinen besetzt, die Hufnägel hatten Diamantenköpfe, und der goldene Schlüssel leuchtete, als ob er glühte.
Der Schimmel kam mit solcher Geschwindigkeit heran, dass der Bote um seine eigenen Pferde fürchten musste. Er knallte ordentlich mit seiner Peitsche, und sofort blieb der Schimmel knapp neben seinem Wagen stehen. Der goldene Schlüssel fiel zu Boden, und der Schimmel verschwand. Freudetrunken und völlig nüchtern rannte unser Fuhrmann an die Stelle, wo der Schlüssel zu Boden gefallen war und hob in der Dunkelheit tatsächlich etwas Metallenes auf. Doch was er fand war nicht der sagenhafte goldene Schlüssel, sondern der Luniger38 seines eigenen Wagens. Darüber war der Bote sehr mißmutig und wollte nach Fuhrmannsart fluchen, hielt aber noch inne, denn er sah wohl, welcher Schaden und welche Arbeit ihm erwachsen wäre, wenn er den Luniger tatsächlich verloren hätte, und das Wagenrad aus seiner Achse gerollt wäre.
Quelle: Mei'r Huamat, Marktgemeinde Telfs, 1997
© Der Text wurde dem Buch "Mei'r Huamat" entnommen. Alle
Rechte liegen bei der Marktgemeinde Telfs, Untermarktstr. 5 + 7, A-6410
Telfs. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie,
Mikrofilm oder in einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung
reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet,
vervielfältigt oder verbreitet werden."