Der Achensee.
Vor vielen tausend Jahren, als noch König Laurin im Rosengarten
und die stolze Frau Hitt im Inntale herrschten, als der starke Wieland
in den Wäldern am Brennerpaß seine Feuerschwerter schmiedete,
als im Land Tirol ein Volk wohnte, dem es viel besser gegangen ist als
uns armen Nachfahren, waren an der Stelle, wo heute der Achensee liegt,
blühendes Land und üppige Weiden, auf denen ein reiches Bauernvolk
ein übermütiges Wohlleben führte. Wohlstand und Übermut
machen stolz und das mußte ein greiser Mann erfahren, der als Unbekannter
in dies Glücksland kam. Er bat um ein Nachtlager, fand aber kein
Gehör. Mit Hunden jagte man ihn weg, Spottworte wurden ihm nachgerufen
und der Hohn klang ihm schmerzlich in den Ohren. Einsam, müde, traurig
stieg er in dunkler Nacht den Berghang empor, bis dort hinauf, wo das
Alpenrosenrot auch die Nacht erleuchtet und wo man den Sternen näher
ist, als man es irgendwo anders sein kann. Da legte er sich auf einen
Felskopf nieder. Während er ruhig schlief, brauste unten im Tale
ein fürchterlicher Sturm, und als der alte Mann am anderen Morgen
ins Tal hinabschaute, waren Weiden und Gehöfte verschwunden. Ein
tiefer, dunkelblauer See lag still an ihrer Stelle.
Quelle: Schwazer Sagen und Volksmärchen, mitgeteilt von Alois Prantauer, in: Tiroler Heimatblätter, 9. Jahrgang, 1931, Heft 10, Oktober 1931, S. 347.