Das Kasermandl von Oberwalchen
Im Spätherbst einmal, die Dämmerung war trotz des klaren Himmels schon frühe eingefallen, kehrten nach tagelanger Arbeit im Holz ein Tuxer, ein Volderberger und ein Wattenberger in Walchen ein, wo sie, müde in allen Knochen, bei einer Flasche Enzian beisammensitzen und nachher im Heu übernachten wollten. Da hockten sie nun, und allmählich lockerte der Schnaps ihre Zunge, und sie beredeten mit zufriedenem Wort, was alles sie in den letzten Wochen fertiggebracht hatten und wie sie sich nun bald der wohlverdienten Mußezeit hinzugeben gedachten. Schaut da der Tuxer von ungefähr zum Fenster hinaus in die sinkende Nacht und sieht in der Oberwalchner Almhütte einen Lichtschein hell aufglänzen. "Teufel, Teufel!" schreit er, "kaum steht die Hüttn ein paar Tag leer, ist das höllische Kasermandl auch schon wieder eingezogen! Wenn ich der Bauer war, ich tat dem Mandl das ewige Wiederkommen aber schon ganz grimmig verleiden!" "Halts Maul!" fuhr ihn grob der Wirt an, "und schimpf nicht so laut, denn das Mandl hat Augen und Ohren wie eine Gams und ist kein Guter. Hört es dich, läßt es dich's entgelten. Im letzten Frühjahr erst hat das Mandl, weil es der Bauer einen Höllenknecht geheißen, die Kühe mit einer Kette so zusammengehängt, daß ihnen die Köpfe dick angeschwollen sind und die Augen herausgestanden wie zwei Kugeln, schier so groß wie meine zwei Fäuste." Da hat der Tuxer den Wirt einen Geisterlapp gescholten und sich vermessen, dem Kasermandl einmal den Herrn zu zeigen.
"Und ich mags nicht leiden", mischte sich die Wirtin ein, "daß du das Mandl verärgerst und wir es deinetwegen am Ende mitbüßen müssen. Laß das Mandl in Ruh; das hat schwere Büß zu tun für die Sund, daß es einmal dort oben, als es noch Bauer und der frühere Besitzer der Alm war, ein Drittel vom Almenboden dem Nachbarn gestohlen. Zur Strafe findet die Arme Seele keine Ruh im Grabe und muß als Kasermandl jahraus, jahrein herumgeistern auf der Alm. Vielleicht auch darfs den strafen, der sich aus Übermut an ihm vergeht. Sei drum gescheit und laß das Mandl in Frieden." "Ihr habt ja die Angst mit dem Kaskessel gefressen!" spottete der Tuxer. "Mich macht kein Mensch und keine geisternde Seel fürchten!" Und er ging hinaus vors Wirtshaus, stieg auf den Brunnentrog und schrie hinauf zur Alm: "Komm her, du ...! Vor dir hab ich schon gar keine Angst!"
Er hatte noch nicht ausgelärmt, da wuchs auch schon vor ihm eine drohende Schattengestalt empor, schwärzer als die Nacht, mit Augen wie glühende Kohlen. "Das Kasermandl!" heulte der Tuxer auf, sprang zurück ins Haus, warf den Riegel vor die Tür und hielt ihn fest und horchte mit wild klopfendem Herzen, ob sich draußen 'was regte. Und der Volderberger, der Wattenberger, der Wirt und die Wirtin kamen ängstlich zur Tür geschlichen und horchten mit verhaltenem Atem, und es dauerte lange, bis sie sich beruhigten und in die Stube zurückgingen. Ein Gläschen tranken sie noch zur Herzstärkung, die drei Bauern, und noch eins auf die ausgestandene Angst und beim dritten hatten sie sich wieder Mut genug angetrunken, um einander zu hänseln und das Kasermandl mit Spott zu bedenken, wenn auch mit leisem. Dann leuchtete ihnen der Wirt hinauf ins Heulager und wünschte ihnen eine gute Nacht.
Aber kaum hatten sie sich zur Ruhe hingestreckt, ging der Tanz los. Mit einem Höllenlärm begann es, dann kamen Melkkübel, Butterfässer, Tragkörbe, Heugabeln und Ketten geflogen, und jeder kriegte 'was ab, bald am Schädel oder mitten im Gesicht, bald am Buckel oder Brustkasten, und auf Beine und Fäuste regnete es Peitschenhiebe und Stockschläge. Am meisten wurde der Tuxer heimgesucht, obgleich er sich tief ins Heu einwühlte. Und als das Werfen und Schlagen aufhörte - "Au!" schrie der Tuxer wild auf und "Um Gottes willen, so helft mir doch!" -, da hatte ihn das zornige Mandl in der Arbeit, saß auf seiner Brust und riß ihn an den Haaren und würgte ihn am Halse, bis er vor Angst und Schmerzen wie tot dalag und sich nicht mehr rührte. Die anderen beiden hatten sein Wehgeschrei wohl gehört, ihm aber nicht helfen können, weil sie das Mandl bewegungslos gemacht hatte und sie kein Glied bewegen konnten. In grausiger Angst lagen sie da, und selbst als der Schrecken längst vorüber war und Totenstille auf dem Heuboden herrschte, wagten sie sich nicht zu rühren und wachten in Sorgen und auch in Schmerzen bis an den grauenden Morgen.
Spät erst am Tage kamen die drei Bauern in die Wirtsstube gekrochen,
der Tuxer mit geschwollenem Kopf, zerkratztem Gesicht und höllischen
Schmerzen in allen Gliedern, der Wattenberger und der Volderberger durften
sich glücklich schätzen, daß sie bloß mit etlichen
schmerzhaften Beulen davongekommen waren. Zu ihrer aller Glück war
der Wirt ein guter Viehdoktor und brachte sie mit heilsamen Tränken
auf die Beine. Sehr kleinlaut traten sie am Nachmittage den Heimweg an,
jeder den seinen, nachdem sie mit mürrischem Gruß auseinandergegangen
waren. Der Tuxer hat lange herumlaboriert, bis er wieder zu heilen Gliedern
kam, und darüber Zeit genug gefunden, seinen Vorwitz und bösen
Mut zu verwünschen und zur Einsicht zu gelangen.daß man einer
armen unerlösten Seele nicht mit Schimpf begegnen darf.
Quelle: Sagen aus
Wattens und Umgebung; gesammelt von den Schulkindern in Wattens und Wattenberg.
In: Wattener Buch, Beiträge zur Heimatkunde von Wattens, Wattenberg
und Vögelsberg. Schlern-Schriften 165, Innsbruck 1958. S. 309 - 326.