Die mutige Magd
Im Wattentale, das sich stundenweit ins Hochgebirge hinaufzieht und den Zugang zu den Almen bildet, die sich zu beiden Seiten den unwirtlichen Hochbergen vorlagern, liegt westlich von Walchen am linken Bachhang die schöne Alm Waz. Hier hauste alljährlich zur Winterszeit ein friedloser Almputz. Der rumorte Nacht für Nacht in der Hütte, als ob er Faß und Maß zu Kleinholz schlüge, und pfiff aus jedem Astloch nach den Winden, daß man es weitum gellen hörte. Nur um Weihnachten verhielt sich die Arme Seele ruhig, als achte sie der heiligen Zeiten und hoffe auf ihre Erlösung. Gleich darnach aber trieb der Putz sein Unwesen noch lauter als zuvor, und das blieb so bis zum Frühjahr. Wenn dann die erste Amsel ihr Liebeslied anstimmte, verschwand der winterliche Gast aus der Almhütte und wurde bis zum Spätherbst nicht wieder gehört.
Blick ins Wattental, Wattenberg
© Berit
Mrugalska, 4. Feburar 2005
Einmal, am Heiligen Abend, als der Bauer, dem die Alm gehörte, mit seinem Gesinde am Weihnachtstische saß, kam die Rede auch auf die Wattner Alm, und da meinte ein vorlautes Knechtlein: "Ob das Kasermandl heut auch Weihnachten feiert?"
Der Bauer hatte vom Roten wohl über den Durst getrunken, daß er dem Jungen die dreiste Frage nicht verwies, sondern mit grobem Lachen auftrumpfte: "Meine schönste Kuh", legte er los und hieb die Faust krachend auf den Tisch, "meine schönste Kuh kriegt, wer sich jetzt gleich hinauftraut auf die Alm und nachschaut, was das Kasermandl treibt! Aber den Melkkübel muß er mitbringen, auf daß es sich erweist, er war wirklich droben und drin in der Hüttn!"
Das übermütige Angebot verschlug jedem am Tisch die Rede. Ein halb erschrockenes, halb verlegenes Schweigen herrschte in der Stube; nicht Knecht noch Bub brachte den Mut auf, das Wagnis zu bestehen, auch nicht um die schönste Kuh. Hatte doch jeder erzählen hören, der Almputz schlage jeden ungebetenen Besucher so krank, daß er sein Lebtag nicht mehr gesunde. Schon wollte der Bauer mit bösem Spott aufbegehren, da erhob sich eine junge Dirn, ein frommes, fleißiges Kind, und erklärte mit bescheidenen, aber bestimmten Worten, sie sei bereit, den gefährlichen Weg zu gehen; doch wenn sie mit Gottes Hilfe glücklich wiederkehre, müsse der Bauer sein Versprechen auch wirklich und unweigerlich wahrmachen. Und mit verhaltenem Schluchzen fügte das Mädchen hinzu, seine Mutter sei krank auf den Tod, doch mit der versprochenen Belohnung hoffe es einen Ausweg aus allem Elend zu finden und die Mutter zu retten. Sprach's, nahm sein Schultertuch und ging still hinaus in die Nacht, noch ehe wer ein Wort fand, es zurückzuhalten oder seinen Weg zu segnen.
Kein Stern stand am Himmel und wies dem Mädchen die Richtung zur Alm; trotzdem fand es durch den stockdunklen Wald und über verschneite und vereiste Hänge den richtigen Weg, und als es auf den Almboden gelangte, leuchtete ihm aus dem Hüttenfenster helles Licht entgegen. Allein der Dirn war das kein tröstlicher Schein; immer zögernder wurde ihr Schritt, und noch an der Türe wäre sie am liebsten umgekehrt und zurückgerannt den finstern Weg; so groß war ihre Angst. Doch da fiel ihr ein, daß dann die Mutter rettungslos verloren wäre, und da faßte sie sich ein Herz, bekreuzigte sich einmal und noch einmal, hob den Riegel und trat ein.
Da saß das Kasermandl, bucklig und langbärtig, in einem feiertäglichen Gewand auf der Herdbank, schmauchte sein Pfeifchen und stocherte mit einem hölzernen Löffel in der Muspfanne am hell lodernden Herdfeuer. Wohl wehte die Dirn ein eisiges Grausen an, denn in der Pfanne - sie sah es und der Ekel schüttelte sie - in der Pfanne schmorte ein kohlrabenschwarzer Brei; doch tapfer schluckte sie Angst und Ekel hinunter, trat auf das Mandl zu und wollte eben ihr Kommen erklären, als sie der Kleine freundlich näherwinkte und sagte: "Komm her, setz dich und iß mit!" Das Mädchen zögerte, den dargebotenen Löffel zu ergreifen. "So mach halt ein Kreuz drüber, und es graust dir nicht mehr!" ermunterte das Mandl die zitternde Magd. Die tat nach seinem Rat, und - o Wunder! da lagen die schönsten Krapfen in der Pfanne. Hungrig vom beschwerlichen Weg und aller ausgestandenen Angst, ließ sich das Mädchen nicht länger nötigen, langte zu, und Dirn und Mandl aßen und aßen einträchtig die Pfanne leer. Als sie auch den Rand säuberlich ausgeputzt hatten, hub das Männlein an: "Ich kenne dein Anliegen. Den Melkkübel, den du heimbringen sollst zum Zeichen, daß du hier warst, den werde ich dir gleich geben. Du bist ein braves Kind und hast deinen Lohn verdient. Und wenn dich der Bauer um ihn betrügen will, verlaß dich darauf, daß ich ihn zu zwingen weiß, sein Versprechen zu halten." Und noch ehe die Dirn ein Wort des Dankes fand, war das Kasermandl verschwunden, der Melkkübel aber stand an der Türe.
Frohen Herzens machte sich die Dirn auf den Heimweg. Alle Sterne leuchteten ihr und im finsteren Wald lief ein heller Schein vor ihr her und führte sie auf dem kürzesten Pfade ins Tal zurück. Vorm Hause traf sie ihren Dienstherrn mit dem Gesinde im Aufbruch zum Mettgang, trat vor die Leute, zeigte ihnen den Melkkübel und mahnte den Bauern an sein Versprechen. Mit einem falschen Lachen fertigte der sie ab: "Dumm genug warst du, meinen Spaß mit der Kuh für gewichtigen Ernst zu nehmen. Ums Kasermandl ist mir keine Kuh feil!" Damit ließ er das Mädchen stehen, das so grausam enttäuscht, in jäher Erschöpfung umzusinken drohte, und stapfte mit seinen Leuten in die Nacht hinaus.
Am andern Morgen gab es auf dem Bauernhofe eine traurige Weihnachtsüberraschung. Die beste und schönste Kuh lag tot im Stalle. Der Bauer fluchte über den schweren Verlust; die Kuh war sein Stolz gewesen und hatte ihm manchen Preis eingebracht. "Hättest du dein Wort gehalten und die Kuh mir gegeben, war sie am Leben geblieben", mahnte ihn die Magd, doch er schnauzte sie grob an und hieß sie, ihn an die Sache nicht mehr zu erinnern, oder er jage sie aus dem Dienst. Doch am nächsten Tag fand man wieder eine schöne Kuh tot im Stalle, erwürgt an ihrer Halskette, und als am dritten noch eine verendet war, kriegte es der Bauer mit der Angst zu tun, das ganze Vieh würde ihm verenden. Er ließ die Magd kommen, bat sie, ihm den üblen Handel zu verzeihen, mit dem er sie um den verdienten Lohn betrogen hatte, dann stellte er ihr frei, entweder die schönste Kälberkuh, die sie im Stalle fände, heimzuführen, oder er zahle ihr auf der Stelle aus, was sie Geldes wert sei. Die Magd, die Geld für Arzt und Arznei brauchte, besann sich nicht lange und war mit dem Bauern im Handumdrehen handelseins. Und wenige Wochen später war ihre Mutter wieder gesund und so rüstig wie je.
Zu sagen ist noch, daß das Mädchen fortan in großer
Dankbarkeit des Kasermandls gedachte und es täglich in sein Gebet
einschloß. Und der Himmel muß ihre Fürbitte erhört
haben, denn auf der Wazalm hat man seither vom Almputz nichts mehr gehört.
Quelle: Sagen aus
Wattens und Umgebung; gesammelt von den Schulkindern in Wattens und Wattenberg.
In: Wattener Buch, Beiträge zur Heimatkunde von Wattens, Wattenberg
und Vögelsberg. Schlern-Schriften 165, Innsbruck 1958. S. 309 - 326.