Tierburgsagen

Der alte Terfnerwirt erzählte gerne folgende Geschichte:

Er und ein Nachbar gingen einmal über den Umelberg, um eine Kuh zu kaufen. Wie es so kommt, landeten sie nach mühevollem Suchen und Feilschen beim Gungelwirt. Es war spät geworden, als sie sich auf den Heimweg über Tierburg nach Terfens machten. Bei der Tierburg angekommen, sahen sie die Fenster des Rittersaales erleuchtet, eine fremdartige Musik erklang, und sie sahen mehrere Paare an den Fenstern vorbeitanzen. Sie standen unter einem Baume und konnten sich dieses nächtliche Treiben nicht erklären. Von St. Michel herüber schlug es 1 Uhr, die Lichter im Rittersaal erloschen, der Spuk war aus. Schweißgebadet langten sie zu Hause an. Oft ging es auf der Tierburg aber auch heidenmäßig zu - besonders zu heiligen Zeiten, wie Allerheiligen, Ostern oder Weihnachten. Da haben die Geister früher immer ein Extra-Spektakel aufgeführt.

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In der Christnacht, als die anderen Hausgenossen in St. Michael in der Mette waren, trat der alte Tierburgerbauer (Pächter) einmal aus dem Wirtschaftstrakt des Schlosses in den Burghof, der damals noch im Osten durch den Saalbau viereckig abgeschlossen war; da blieb er erschrocken stehen, denn gegenüber war die Burg hell erleuchtet, lustige Musik klang aus den Fenstern und festlich gekleidete Menschen tanzten, lachten und zechten. Die Herrschaften hatten einmal in der Heiligen Nacht, anstatt in die Mette zu gehen, ein lustiges Bankett gehalten; Jetzt fanden sie keine Ruhe im Grabe und mußten am gleichen Ort und zur selben Stunde umgehen, wie sie gesündigt haben.

"Bin i froh, daß ihr wierder da seid" sagte der Pächter, als die Kirchengänger heimkamen, "i hätt mi bald z' Tod g'fürcht".

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Die Burschen, welche nachts an der Tierburg vorbeigingen, sahen dort wunderschöne Ritterfräulein, so schön, daß ihnen heiß und kalt wurde, und wenn einer nur ein bißchen um seine Seele besorgt war, getraute er sich gegen Mitternacht nicht mehr in die Nähe des Schlosses. Ob die schönen Ritterfräulein "Salige" waren, wie sie in der Tiroler Sage nicht selten Männer an sich fesseln, muß ich dahingestellt lassen. Es wäre nicht ausgeschlossen. Die Saligen sind die Beschützerinnen des Flachsbaues und der Gemsen, und nur die Riesen sind es, die sie verfolgen. Auch bei uns hier und im Gnadenwalde wurde früher viel Flachs gebaut, sonst hätte nicht das Gasthaus "Gungl" von der Kunkelstube seinen Namen bekommen. Auch im Gnadenwalde berichtet die Sage von weißen Gemsen.

Ganz ähnlich einer Tierburg-Sage lautet eine von Schloß Vellenberg (bei Götzens)

Siehe Schloß Vellenberg

Quelle: Chronik von Fritzens, Werner Köfler, Innsbruck 1973, S. 32