Das Venediger Männlein.
Venediger Männlein
August Wagner, Schwaz
Ende des 14. Jahrhunderts kam regelmäßig um die heilige Osterzeit ein altersgraues, kaum zwei Däumlein *) hohes Bergmännlein, dessen silbergrauer Bart und Kopfhaare im Winde wie Fähnlein flatterten. Die hellen, kleinen Augen funkelten gar lebhaft und verschmitzt und lugten fröhlich unter buschigen Brauen hervor. Dieses Männlein erschien alljährlich in der Karwoche in Schwaz und durchstreifte die Gegend des heutigen Arz- und Pillberges und sammelte allerlei wertvolle und flimmernde Steine und steckte sie in sein Ränzlein, Einst sah ein frommes Mädchen, wie das Männlein unter einem großen Stein hervorkroch und einen schweren Sack mitschleppte; am Hute stak ein funkelnder Edelstein, der dem Männlein als Grubenlicht diente. Da das Männlein glaubte, unbeobachtet zu sein, kramte es den Sack aus, und siehe da, es kamen lauter Silbersteinchen zum Vorschein, die das Männlein im Berginnern gesammelt hatte, um sie in seine ferne Heimat zu schleppen. Wie das Männlein merkte, daß es beobachtet werde, verschwand es mit seinen Schätzen und wurde nie wieder gesehen. Unter dem Stein aber quoll ein klares Wässerlein, das silberhaltigen Sand und Schlamm mitbrachte und Veranlassung zur Entdeckung der reichen Silbergänge in der alten Zeche gab. Diese Erzgruben sollen die allerersten gewesen sein, die in Schwaz angebaut wurden.
*) Däumlein, ein altes Bergwerksmaß = 0,520 m.
Quelle: Schwazer Bergwerkssagen, mitgeteilt von Alois Prantauer, in: Tiroler Heimatblätter, 9. Jahrgang, 1931, Heft 3, März 1931, S. 95.
"Bei der Sammlung der Schwazer Sagen hat mir auch Herr Direktor Wechselberger, Schwaz, wesentliche Dienste geleistet, wofür ihm an dieser Stelle der schuldige Dank ausgesprochen sei. Alois Prantauer."