Die Wunderschelle.
Ein Hirte fand einst eine glänzende Schelle, wie man sie den Schafen
umhängt. Sie hatte einen so wunderbaren Klang, daß er fortwährend
damit klingelte. Auf einmal trat aus einem Felsenspalt ein graues Bergmandl
hervor und fragte mit einem bösen Gesicht: "Was ist's? Was willst?
Warum läutest du mir, dummer Lapp?" "Geh heim und Iaß
mich in Ruh," erwiderte der Hirt, "ich Hab dich nicht gerufen
und brauch dich nicht." Aber das Bergmandl ging dem Burschen nach
und sagte: "Weißt was? Schenk mir die Schelle!" Der hatte
aber dazu keine Lust. Da sagte das Mandl: "Ich zeige dir einen Schatz,
wenn du mir die Schelle gibst." "Nur zeigen? Nein, schenken!"
meinte der Bursch, und das Männlein entgegnete: "Gut, so komm
mit!" Es führte ihn an einen Ort, wo zwei Schachte nebeneinander
offen standen. "Aus dem da darfst du heimtragen, so viel du willst,"
sagte das Männlein, "aber nicht mehr, als du gerade brauchst,
und du darfst auch keinem Menschen ein Wort davon erzählen."
Der Hirte hielt das graue Gestein, das im Schachte lag, für wertlos,
weil ihm aber das Männlein zuredete, füllte er sich die Taschen
damit und ging dann sogleich fort. Als er es anbot, sagte man ihm, es
sei gutes Erz und gab ihm ein Paar Gulden dafür. Er ging wieder zum
Schacht und brachte auch die Schelle mit, doch kaum hatte er sie dem Kleinen
gegeben, warf sie dieser in seinen eigenen Schacht hinunter. Und als der
Hirte verwundert fragte, warum er das getan habe, sagte das Bergmandl:
"Damit sie nicht wieder so ein Lapp findet, wie du einer bist. Wer
eine solche Schelle hat, dem muß ich immerfort dienen und das macht
mir wenig Spaß. Sei du froh über deinen Lohn, mein Gestein
macht dich reich, aber schweig darüber!" Damit verschwand es
im Schacht. Der Hirte trug nach und nach soviel Erz aus der Grube weg,
daß er bald reich wurde. Doch sagte er nie jemandem ein Wort darüber.
Als er aber einmal mit seinem Bruder im Wirtshaus saß und sich angetrunken
hatte, fing er an, von der Schelle und vom Schachtgeist zu plaudern. Plötzlich
hörten beide eine Schelle hell klingeln, ohne daß sie etwas
sahen. Darüber erschraken sie so, daß sie gleich nüchtern
wurden. Der Hirte lief zum Schacht, es war aber kein Körnlein Erz
mehr zu sehen, und auch der Schacht des Männleins war verschwunden.
Quelle: Schwazer Bergwerkssagen, mitgeteilt von Alois Prantauer, in: Tiroler Heimatblätter, 9. Jahrgang, 1931, Heft 3, März 1931, S. 95 - 96.