DER VIRGENER OPFERWIDDER
Um 1620 wütete der Schwarze Tod in ganz Tirol. Jeder Dritte wurde von ihm hinweg gerafft. Auch in Virgen waren Not und Angst riesengroß. Mit Gebeten und Gelöbnissen wollten die Leute der Pest Herr werden, denn menschliche Hilfe gab es nicht.
Wallfahrtskirche Obermauern, Tirol
© Karl
C. Berger
Eine Bittprozession von Obermauern nach Virgen hielt beim Bildstöckl auf halbem Weg und betete zum Allerheiligenkirchlein. Da sahen die Leute plötzlich hinter den Zäunen einen großen Sensenmann aus dem Wald treten, der sein Werkzeug gegen das Tal hin schwang. Ein Schrei, ein Stoßgebet bei den Umstehenden, dann kam aus der Richtung der Obermaurer Kirche ein großer weißer Widder, stürzte sich auf den Sensenmann, und nach dem dritten Stoß klapperte das Knochengestell in sich zusammen.
Von da an beschlossen die Leute, alljährlich einen schönen, weißen, ungeschorenen, drei Jahre alten Widder in einer Prozession von der Wallfahrtskirche Obermauern nach Maria Lavant zu führen und dort zu opfern.
Das Gelöbnis wurde zu wenig ernst genommen. Die Pest kam wieder. Die Särge standen von der Virger Friedhofsmauer weit wegeinwärts nach Niedermauern. An der Stelle, wo der letzte Sarg stand, wurde ein Kapellenbau gelobt und das Widderopfer erneuert. Das Bildstöckl zwischen Virgen und Niedermauern wurde gebaut. Es enthält in grober Malerei ein Bild der Heiligen Dreifaltigkeit mit der Opferung des Widders und im unteren Teil die Prozession und den Kampf des Widders mit dem Sensenmann. Dazu lautet die Inschrift: "1635 ex voto".
Das Widderopfer aber wird mit der Gemeinde Prägraten bis auf den
heutigen Tag eingehalten.
Quelle: Virgen im Nationalpark Hohe Tauern, Louis Oberwalder, Innsbruck 1999, S. 264