Das Venediger Männlein in Wildschönau
Ein Venediger Männlein, das in Venedig zum Teufel in die Schule
gegangen war und bei ihm das Zaubern gelernt hatte, kam jedes Jahr in
die Wildschönau zu einem Bauern und bat um die Nachtherberge. Immer
brachte es leere Säcke mit sich und trug am anderen Morgen alle davon.
Den Bauersmann plagte das "Wunder", und als das Männlein
wieder einmal bei ihm übernachtete, paßte er ihm auf. Gegen
Mitternacht schlich es aus dem Haus, grub unter einer Eiche das Wurzelwerk
auf und klaubte lauter blinkende Goldklumpen hervor. Darauf schleppte
er die vollen Säcke ins Haus zurück, stellte sie in seiner Kammer
auf den Boden und legte sich wieder schlafen. Als der Bauer merkte, daß
das Männlein in tiefem Schlaf war, stahl er ihm einen Goldklumpen.
In der Frühe erwachte das Männlein mit dem ersten Hahnenschrei
und wollte mit seinen Säcken sich auf den Weg machen. Aber gleich
im ersten Anflenüh merkte es, daß ein Klumpen fehle. Da weckte
es den Bauern und zwang ihn, den gestohlenen Klumpen in die Wassergrube
neben dem Hause zu werfen. Davon färbte sich das Wasser nach und
nach rot, ganz schön rot, und die Kühe, welche aus der Lacke
tranken, bekamen sämtlich den Blasenstein und mußten geschlachtet
werden. Als man ihre Blase untersuchte, fand man sie mit lauter Goldküglein
angefüllt. Noch heute fließt dort das Wasser rot aus dem Boden.
Der Bauer aber hatte trotz des Goldwassers Unglück über Unglück.
J. A. Heyl
Quelle: Der Sagenkranz der Wildschönau,
in: Heimat Wildschönau, Ein Heimatbuch, Dr. Paul Weitlaner, Schlern-Schriften
Nr. 218, Innsbruck 1962, S. 125 - 155.
Siehe auch: Volkssagen, Bräuche und Meinungen aus Tirol, gesammelt
und herausgegeben von Johann Adolf Heyl, Brixen 1897, Nr. 59, S. 97