Der wilde Alber - Das Martas G'stampfe

Es gibt kaum eine andere Sagengestalt, deren Darstellung so verworren und vielseitig, aber auch so unsicher ist, wie der Wilde Alber. Diese Gestalt taucht vielfach in der Tiroler Sagenwelt auf und wird das einmal als Teufel, dann als Wilder Jäger oder als Wilder Ochsner bezeichnet. Die Bilder dieser seltsamen, geheimnisvollen Sagengestalt sind aber so unklar gehalten und oft auch widersprechend, so dass man keinen richtigen Schluss ziehen kann. In neueren schriftlichen Darstellungen wird der Wilde Alber in folgendem Bilde beschrieben, das aber ziemlich aus der Luft gegriffen zu sein scheint: „Den Bergriesen verwandt ist zweifellos der Wilde Alber, eine seltsame Mischung von Bergriesen und Gelddrachen, der sich nur von Gold nährt ... Er ist hässlich, halb Mensch, halb Pferd.“ 43) Tiefer greift die Beschreibung bei Alpenburg, der den Alber als einen „großen Feuerdrachen“ darstellt. Diese Erscheinung bedeutet im Zillertal Pest, Hunger und Krieg. 44) Noch genauer und tiefer geht die Vorstellung, die der Tiroler Volkstumsforscher Ludwig von Hörmann gibt. Seine Beschreibung deckt sich in vieler Hinsicht ziemlich genau mit den Erscheinungen im Wipptal. So wird dieses „Teufelsvieh“ im Ötztal als ein „höllischer, fuiriger Drach“ beschrieben, der hoch oben in schauerlichen Schluchten und Spalten des Gebirges haust. „Jedes Jahr um Martini fliegt er übers Tal in ein anderes Loch. Dabei macht er einen großen Bogen und streift den Wiesengrund mit seinem feurigen Schweif. Auf dieser Stelle wird das Gras so arg verbrannt, dass mehrere Jahre nichts mehr wächst. Nach sieben Jahren aber gedeiht es fetter und üppiger als früher. Kommt der Alber in die Nähe eines Dorfes, so bedeutet es großes Unglück . . .“ 45)

43) Handwörterbuch des Aberglaubens, unter „Bergriesen“. Alpenburg erwähnt den „Alber“ aus dem Zillertal (Mythen und Sagen, S. 283). Dieser Alber erschien in Gestalt eines „großen Feuerdrachens“.
44) Diese Erscheinung bedeutete: Pest, Krieg und Hungersnot — also ungefähr eine ähnliche Vorstellung wie die hernach erzählte vom Wipptal.
45) Hörmann, S. 199 f.

Im Wipptal selbst hat sich ebenfalls keine klare Vorstellung erhalten. Es ist nur aus der Zusammenfassung aller noch erhaltenen Bruchstücke möglich, ein halbwegs klares Bild zu gestalten. Daraus erkennt man ganz klar und eindeutig, dass dem Wilden Alber zweifellos die urzeitliche Erinnerung von der Wilden Jagd zugrunde liegt, wenn er auch nicht selbst die Wilde Jagd darstellt.

Aus den Volkserzählungen ergibt sich vor allem die eine Tatsache, dass der „Wilde Alber“ „zu heiligen Gezeiten“ erscheint. Seine Erscheinung bedeutet ein schlimmes Vorzeichen für Pest, Hunger und Krieg. Dieser Glaube ist heute noch vielfach lebendig, wo der Wilde Alber überhaupt noch in der Volkserinnerung lebt. Daher sahen Schmirner den Wilden Alber um Martini (Cajetan Gratl und andere Schmirner), was Unglück und Not bedeutete. In Obernberg erschien er besonders zu Adventszeiten, dann zu Martini und merkwürdigerweise auch am Peter- und Paulstag. (Fürst.) In Steinach sagte man, der Wilde Alber erscheine zu heiligen Zeiten. (Hofer Kathl.) In Form eines glühnigen Strahls ist er quer über das Tal gefahren und in Padaster verschwunden. (Schneiderin.) In Navis wird das Erscheinen des Wilden Albers eine „Vorweilige“ genannt. (A. Holzmann.) Und der alte Silbergasser von Gschnitz erzählte mit geradezu poetischer Ausschmückung: „Und einmal ist eine Röte gewesen, der Schein war alles ein Bluet und dann hat's geheißen: ietz isch die lötzte Zeit.“ Merkwürdigerweise ist die Sage am wenigsten lebendig in Navis.

Über die Erscheinungen des Wilden Alber selbst wissen die ältesten Leute folgendes zu erzählen:

 „In Form eines glühenden Schweifsterns ist er um Martini quer über den Himmel gefahren und hat ausg’schaut wie ein einziger Fuirer. Es hat alles gegluhnt und gegraschelt.“ Weiter erzählt der alte Cajetan Gratl: „Er ist ein Drake gewesen, der vom Hüttenjöchl ins Wildenlahnertal (Olperer) gefahren ist!

In Vals ist der Wilde Alber von Padaun her quer über das Tal gegen den Olperer geflogen. „Er hat einen glühnigen Schweif gehabt und alles ist glühnig gewesen“, erzählt der alte Josef Gatt noch heute. Er hat den Wilden Alber selbst gesehen. Aber nur einmal ist es vorgekommen. Es war so hell, dass es bis in die Stube einen Schein geworfen hat und alle Leute sind hinausgesprungen, zu schauen, was geschehen wär. (Gatt Josef.)

Eine ähnliche Vorstellung bestand auch in Trins, wo der Wilde Alber gesehen wurde, wie er in dunkler Nachtzeit quer durch den Himmel gefahren ist und zwar in Form eines feurigen Schweifsternes, dass die Funken geknistert haben. (Salzer.)

In ähnlicher Weise ist der Wilde Alber auch im Gschnitztal häufig erschienen. Einmal haben junge Burschen beim Hiesner bis in die Nacht hinein gekartet. Dann geht einer bei der Tür hinaus und sieht ein seltsames Schauspiel am Himmel, worauf er dann in die Stube geschrieen hat, sie sollten alle herauskommen. Da haben sie am Himmel einen „feurigen Bötschen“ gesehen, „ganz gliiehnig, und der ist dann mitten in die Feichten hineingefahren und alles war voll Gluhn und hat geprasselt und dann ist es wieder still geworden.“ (Hiesner.) Solche Erscheinungen wurden zu Adventszeiten öfter beobachtet und zwar in verschiedenen Formen und Gattungen, manchmal auch wie ein seltsames Ungeheuer. Als die Bauersleute am Abend beim Walchbauern in Gschnitz Rosenkranz gebetet haben, haben sie auf einmal vom Stubenfenster aus gesehen, wie der Wilde Alber taleinwärts über den Bachrunst gesprungen ist und wie er große Hüpfe gemacht hat, bis zur Sölde hinein. Er war ganz glüehnig. Ein anderes Mal, als der Krustner Ander und Moser Grete (schlimmes Volk) Hochzeit gehabt haben, ist der Wilde Alber auch über den Himmel gefahren und alles war glüehnig. Dann ist er an die Kalchwand (Unterm Habicht) gefahren und alles „hat gefuirt“. Das war ein schlimmes Zeichen für die Hochzeit. Die Leute sagten, es wäre der Tuifel.

Damit haben wir schon angedeutet, wer eigentlich — dem Volksglauben nach — hinter dem Wilden Alber steckte. Die Auffassung, dass es eine Erscheinung des Teufels wäre, ist ganz allgemein.

Der Wilde Alber ist ein abgefallener Stern“, sagte der alte Lutzer von Vals, „dahinter steckt der Tuifel“. Auch nach der Auffassung des alten Cajetan Gratl von Schmirn war der Wilde Alber nichts anderes als der Tuifel. Man soll nicht laut darüber sprechen. Er verwies auf das Deckengemälde in der Schmirner Kirche, wo Hölle und Tuifel abgebildet ist. „Das ist der Wilde Alber.“ Auch der alte Silbergasser von Gschnitz hat dasselbe behauptet. Noch näher kommt dieser Auffassung die Sage vom Obernberger Tal, wo der Wilde Alber wie ein „Fuirstrahl“ über den Himmel gegen den Tribulaun gefahren ist. „Alles war hell und hat gegraschelt.“ Bei der schwarzen Wand ist er dann verschwunden. Nach der Auffassung der alten Obernberger war der Wilde Alber eine Pfaffenköchin, auf welcher der Tuifel durch die Nacht reitet. (Fürst.)

Hat sich da nicht die uralte Volksvorstellung erhalten, dass der Teufel die Menschen reite . . . ? In einem Gedicht des 14. Jh. verhängt es Gott dem Teufel, „ein böses Weib über Berg und Tal zu reiten.“ 46) Merkwürdigerweise findet sich dieselbe urtümliche Vorstellung auch im Sarntal. Dabei soll es den höllischen Reiterinnen manchmal passieren, dass ihr Ross ein Hufeisen verliert, „Pfaffeneisen“ genannt. Darauf wird noch näher Bezug genommen. 47)

47) Hörmann, S. 200.

Allen Erzählungen in den verschiedenen Talschaften gemeinsam ist der Hinweis, dass der Wilde Alber immer in das wildeste Berggebiet hinein verschwindet. In Schmirn fährt er vom Hüttenjoch gegen den Olperer, in Vals von Padaun gegen den Olperer. In Obernberg fährt er in das düstere Berggebiet des Tribulaun, in Trins und Gschnitz in das Geisterreich des Hobach und in Steinach in das düstere Padastertal.

Übereinstimmend kommen wir nun der Erscheinung der Form nach etwas näher. Es ist ein feuriger Drache, der quer über den Himmel fährt — mit anderen Worten vielleicht die Personifikation der fallenden Sternschnuppen, die gerade im November häufig zu sehen sind. Diese Vorstellung entsprach ganz dem noch heidnischen, unmittelbar nach der Christianisierung einsetzenden Teufelsglauben, den man „meist als feurigen Drachen“ durch die Luft und in Schornsteine fahren sah. 48) Ähnliche Vorstellungen liegen auch den Erscheinungen des Wilden Alber zugrunde. Dieser Glaube ist so tief verankert, dass er sogar in den letzten Jahren in manchen Tälern gesehen worden ist. So sah man am Eingang ins Navistal um das Jahr 1939 wieder solche Lichterscheinungen, die durch den Wald hin- und herfuhren. Die Alten sagten, es wäre eine „Vorweilige“. (Holzmann Ander.) Auch das 1939 beobachtete Nordlicht wurde mit dem Wilden Alber in Zusammenhang gebracht und als schlimmes Vorzeichen für den bald hernach ausgebrochenen Krieg gedeutet!

48) Ebda. S. 572.

Der Wilde Alber lebte im Wipptal als eigene Sagengestalt in den Bergen, obwohl er aber ursprünglich ganz gewiss mit der allgemein germanischen Sage der Wilden Jagd zusammenhängt. Von der Wilden Jagd hört und liest man so viel, aber ich bezweifle, ob der Name „Wilde Jagd“ überhaupt in Tirol gebräuchlich war oder ob er nicht vielmehr in Angleichung an die gemeindeutsche Sage entlehnt und eingeschmuggelt worden ist. Im Wipptal selbst können sich auch die ältesten Bewohner an den Ausdruck „Wilde Jagd“ nicht erinnern, wohl aber ist die Wilde Jagd in anderen Namen sehr gut bekannt:
Der Wilde Ochsner oder Mortas Gstampfe.
Schon aus dem Namen allein lässt sich schließen, dass es sich zweifelsohne um dieselbe deutsche Sage handelt: während aber in der Ebene der Wilde Jäger oder der „Wode“ die Wilde Jagd anführt, tritt in den Bergen an dessen Stelle die sagenhafte Gestalt des Wilden Ochsners oder man nennt es das „Mortas Gstampfe“. weil es zu Martini stattfindet. St. Martin ist ja an Stelle Wodans und zur Bekämpfung Wodans in der christlichen Ära getreten.

 „Zu Martini fahrt der Wilde Ochsner ab“, sagte man in Vals (Gratl Hans und Lutzer.) In Steinach erzählte man vom „Mortas Gstampfe“ oder vom Martini-Gestampfe, ohne dass man sich recht vorstellen konnte, was es bedeuten sollte. (Hofer Kathl.) Die Erinnerung an diese Sagengestalt ist in geschlossenen Ortschaften schon verblasst. (Hofer Kathl.) In Trins schreckte man mit dem Mortas Gstampfe in dunklen Novembertagen die kleinen Kinder, dass sie ruhig sind und am Abend nicht vor das Haus gehen: „Seid still, sonst kommt s’ Mortas Gestampfe“. In diesen Tagen trauten sich die Kinder nach dem Betläuten nicht mehr aus dem Haus heraus. In Schmirn wird von der „Mortas Fahrt“ gesprochen, wenn der Wilde Ochsner von der Alm herunterfährt. Dieser Wilde Ochsner haust auf den verlassenen Almen erst nach Mathuis (nach der Almabfahrt) ganz allein mit seinem Gefolge, worauf er dann um Martini ins Tal fährt. Die Martininacht war eine grause und gefürchtete Nacht. Ein waghalsiger Bursch erkühnte sich einmal, „dem Wilden Ochsner die Ochsen abzuleiten“. In dunkler Martininacht ging er allein ins Wildenlahnertal und passte dort auf einem Kreuzweg der wilden Nachtfahrt auf, „aber es hat so gefuirt und geleuchtet und gekracht, dass er kaum noch ins Haus flüchten konnte“. (Cajetan Gratl.)

In Vals sprach man vom „Wilden Zeischer“ und vom „Alpeiner“, die am Martes-Markt von der Alm abfahren. Von der Zeisch-Alm fährt der „Zeischer Ochsner“ ab und von der Alpein-Alm der „Alpeiner“. Im Talgrunde bei Valseben stoßen dann die Beiden mit Gebrüll und Gekrache zusammen. Ein Valser Bursch, ist aus Neugier einmal schauen gangen; „Da seind sie wohl kommen ganz glühniger, die Tuifel, und dann seind sie beim „Heirassen-Stadel“ zusammengefahren, der Zeischer und der Alpeiner Ochsner, und es hat gestoßen und gebrüllt.“ (Gatt Josef.)

In Navis war die Sage vom „Mortas Gstampfe“ besonders tief verankert; sie wird in plastischen Vorstellungen erzählt. Zu. Martini hütete man das Haus. Man hat länger gebetet. Die jungen Leute haben sich sogar gefürchtet, außer Haus auf Hoangert zu gehen. Mit flüsternden Worten hat man gesprochen: „Heunt kimmt s’Mortas Gstampf!“ Interessanterweise besteht in Navis die Vorstellung, dass es sich beim Mortas Gstampfe auch um die Almabfahrt aller Kasermanndler gehandelt hat. Man hörte daher in der Nacht dieselben Geräusche, denselben Lärm und dasselbe Schreien, wie bei einer wirklichen Almabfahrt. Da schellen und läuten und klimpern die Herdenglocken, da hört man das laute Schnöllen der Geißel, das enterische Tuten des Bockhornes und das rauhe Schreien der groben Hirtenstimmen. Nun glaubten die alten Navisser, dass dieser Zug auch mitten durch die Häuser hindurchfahre, falls ein solches Haus im Wege steht. Nach dem alten Glauben fährt der Zug durch jedes Haus durch, wo zwei Türen vom vorderen zum hinteren Gang durchgehen. Ein solches Haus befand sich beim Gratl in Grün, einem der innersten Höfe, wo die- Wilde Jagd zu Martini mit Krachen und Schellengeklimper durchgefahren ist. Es klang genau wie bei der Almabfahrt. (Penz R.) Der Rögeler Klaus erzählte, dass die Wilde Jagd durch alle Häuser durchging, wo zwei Türen angebracht sind.

Ganz besonders gefürchtet waren in Navis auch die sogenannten Kreuzwege. Aber nicht jeder Weg, der mit einem andern „kreuzt“, ist ein Kreuzweg, sondern nur solche, wo man auch die Toten zu Grabe führt. An solchen Kreuzwegen führt das Mortas Gstampfe immer vorbei. Die Leute fürchteten und scheuten sich, in dieser Nacht sogar beim Fenster hinauszuschauen. Als es aber ein neugieriger Knecht einmal gewagt hat, hat plötzlich eine grause Stimme gerufen: „Die Balken zue!“ In dieser Nacht ist der Knecht blind geworden und keine Kunst der Welt konnte ihn wieder sehend machen. Im andern Jahr aber riet ihm ein altes Weiblein, er solle wieder beim Fenster hinausschauen. Und als das Mortas Gstampfe durch die Berge brauste und am Hof vorbei, hörte der furchtsame Knecht wieder dieselbe Stimme: „Tue die Laden auf!“ Da wurde er wieder sehend.

Ein anderer Knecht im Navistal, Klausen Peater genannt, hat einmal gewettet, er werde in der Martininacht in den „Weirich gehen“ (Alm), um eine Seiche (Milchseihe) zu holen. Er hat sein Vorhaben tatsächlich ausgeführt. Aber bei seiner Rückkehr war er „schneeweiß vor Angst und über und über voller Schwitz.“ Man konnte jedoch kein Wort aus ihm herausbringen, was eigentlich geschehen war. (Holzmann Ander.)

Der Nehdl des Schager-Bauern von Mühlen, Holzmann Ander, der aus Navis stammt, befand sich einmal um Martini spät in der Nacht auf der Ellbögner Straße am Heimweg. Als er beim Erlacher Ried vorbeikam, war eben auf der anderen Seite das Mortas Gstampfe vorübergebraust. Gesehen hat er zwar nichts, aber es haben Glocken und Schellen geläutet und es hat sonst laut gelärmt wie beim Abfahren. Als er zur anderen Seite des Erlacher Rieds gekommen war, war es wieder ganz still geworden.

Auch in Ellbögen glaubte man an die Erscheinungen des Wilden Alber und an das Martas Gestampfe. Der Wilde Alber erschien bis zur Gegenwart vor allem zu Adventszeiten beim „Güldenen Amt“ und „zog einen glühnigen Pötschen nach“. (Larcher.)

Die Vorstellung vom Martas Gestampfe deckte sich ganz gleich mit dem übrigen Wipptal. Auf der hohen Provögl-Alm ist einmal der alte Moar mit der Büchse am Martini-Abend über Nacht gelegen. Als er sich niederlegte, hörte er auf einmal ein furchtbares Geklapper und Gekrache. Schellen klimperten. Kitze schrien. Ein Stier brüllte. Das Feuer hat es ausgeblasen.

Nicht selten haben übermütige Burschen gewettet, sie würden in der Martininacht auf die Alm gehen und den Melchstuhl holen. Der Pinter Todl hat einmal das Heiligentafele aus der Stube der Alm geholt, aber er hat nie erzählt, was er dabei alles erlebt hat. Noch heute sagt man von schneidigen Burschen: „Sie würden den Melchstuhl holen!“

Sehr ursprünglich und in besonders anschaulichen Bildern, voll von abergläubischer Furcht hat sich die Sage vom Mortas Gstampfe im abgelegenen Gschnitztal erhalten, wo vielleicht die Vorstellung dem ursprünglichen Wesen der Sage am nächsten kommt. Das Gepolter und Gekrache und Gelärme wird ähnlich beschrieben wie in anderen Tälern, aber es wird deutlich betont, dass es sich nicht um die Almabfahrt der Kasermanndln handelt. Dafür jedoch werden häufig die Rossgespanne erwähnt. So hat man schwarze Rosse und Kutschen gesehen, die über das Tal und über den Himmel gefahren sind. Ein alter Walchbauer hat in aller Früh, als er bei der Sölde vorbei auf die Gamsjagd gehen wollte, eine „schwarze Kutsche vorüberjagen gesehen und vorgespannt waren schwarze Ross und jemand saß darauf“. (Hiesner.) In Traul wurde ein anderer einmal verfolgt und erschreckt. Aber er hat nie erzählt, was es eigentlich gewesen wär. (Hiesner.) Diese seltsame „Kutsche“ um Martini wurde oft gesehen. Die Vorstellung war äußerst volkstümlich und bekannt. Der alte Hiesner spricht auch von der Almauffahrt des Wintersenners — im Gegensatz zu Navis. Um Martini fährt der „Wintersenner“ auf. Was das bedeutet, ist den Erzählern selber nicht mehr klar, aber der Wintersenner war eine geisterhafte Almgestalt, nur dem Gschnitztal eigen.

Eine ganz alte und dem ursprünglichen Wesen der Wilden Jagd am nächsten kommende Sage erzählt der fast 80-jährige Prangerbauer vom Prangerhof in Gschnitz: dort ist zu Nehdls Zeiten einmal um Martini ein Gespann beim Tennen hereingefahren, dann durch das ganze „Fuirhaus“ hindurchgerumpelt. Im oberen Saal in der Nähe des Fensters hat es dann Halt gemacht und dann hat man gehört, als ob jemand Schotter abladen würde. Daraufhin ist alles wieder still geworden und verschwunden.

Den Erzählungen aus dem Gschnitztal liegt vielleicht die heidnische Vorstellung zugrunde, wonach die Götter auf einem Gespann durch die Nacht gefahren sind. Wer das Gschnitztal besonders in den einsamen, dunklen Novembertagen besucht, wenn die Nebel drückend von den Bergen hängen und die Wälder schon katzgrau verschneit sind, der erlebt den eigenartig dunklen und geheimnisvollen Reiz dieses Hochtales. In keinem Seitental des Wipptales macht die Bergnatur einen so bedrückenden, schweren und ernsten Eindruck. Kein Wunder, dass bei dieser harten Natur die Menschen der Vorzeit in tiefster Weise davon berührt worden sind. Darauf wird noch an anderer Stelle Bezug genommen.

Dem Mortas Gstampfe liegt also die heidnische Vorstellung von der Wilden Jagd zugrunde.

In Schmirn nannte man es daher ein „beases Zuig“. (Cajetan Gratl.) In Navis hat man „gebetet und ein geweichtes Liachtl angezunden“. (Holzmann Ander.) Niemand wagte sich aus dem Haus, wenn es nicht notgedrungen erfolgte. Ähnliche Vorstellungen verbunden mit abergläubischer Angst und Furcht bestanden auch in anderen Tälern. Am tiefsten aber und am eindrucksvollsten erkennt man die wirklich heidnische Furcht vor dem Mortas Gstampfe aus der Erzählung des alten Silbergassers von Gschnitz, der einen Teil seiner Jugend im Stubai verbracht hatte. Er sagte mit erhobener Stimme:
„Im Stubai ist man dreimal ums Haus gangen und hat betet!“

Das Mortas Gstampfe galt daher in den Augen der Bergbauern als etwas Böses und Gefährliches, wovor man sich hüten musste. Ursprünglich handelt es sich wohl um ein rein heidnisches Bild. Aber an Stelle der heidnischen Götter ist dann der Teufel getreten. Man kann daher die Entwicklung nach der erfolgten Christianisierung ziemlich gut erkennen: die Alten hielten ihre heidnischen Götter nicht für falsch, das heißt, sie lebten in ihren Augen immer noch. Aber sie waren dem neuen Christengott gegenüber schwächer! In den Augen dieser Naturkinder waren die alten Götter nicht gestorben, sondern sie wehrten sich noch und fuhren in gewissen Zeiten durch die Lüfte, um den Menschen Schaden anzutun. Daher setzten nun die Gegenmittel des stärkeren Christentums ein: „Die Christen hatten nämlich dem Glauben an die Götter ihrer Vorfahren nicht so schnell und so völlig entsagt, dass ihnen jene heidnischen Gestalten mit einem Mal aus dem Gedächtnis entfallen wären. - - -Der alte Gott verlor sein zutrauliches Wesen - - - und ging in den Begriff einer finsteren schreckenden Gewalt über. - - - Er schwebte in den Lüften, teuflisch und gespenstig!“ 49) Später wurde er dann überhaupt von der finsteren Gewalt des Teufels verdeckt, der daher in den ursprünglichen Göttervorstellungen der Wilden Jagd weiterlebte und sein Unwesen trieb. Gerade in den Bergen, wo die Herbst-Stürme lärmend um Haus und Hof brausen, wo sich die dunklen Nächte wie beklemmend auf den Menschen legen und wo so viele Geheimnisse der winterlichen Bergnatur erwachen, war die Vorstellung von der Wilden Jagd besonders tief verankert. Als christliches Gegenmittel gegen diese dunkle heidnische Gefahr galt nun der Hl. Martin, der den heidnischen Aberglauben verdrängen sollte und überhaupt an Stelle des Wodan getreten war.

49) Ebda. S. 515.

Daraus ist der Name „Mortas Gstampfe“ entstanden, der jedoch hauptsächlich nur für das engere Landschaftsgebiet des Wipptales und Stubaitales zuzutreffen scheint.

Von Mathuis (21. Sept.) bis Martini sind daher die Almen verlassen. Die einsame Stätte wird von den Menschen gemieden. Der Wilde Ochsner hat seinen Aufzug gehalten, um am Martinstag abzufahren. Unholde und Dämonen haben in der verlassenen Hochalm ihren Wohnsitz aufgeschlagen. Sie brausen dann um Martini durch die Lüfte. Dass die Kasermanndlen bei diesem Zug dabei wären, wird nur im Navistal erzählt.

Zu Martini findet daher die Abfahrt des Wilden Ochsner statt; aber bis zu dieser Zeit haust er auf den Bergen. Manchmal wird daher der Wilde Ochsner in dieser oder jener Gestalt schon um Allerheiligen auf den Almen gesehen. Ein schaurig-schönes Bild, das fast an die Urzeiten in den Bergen erinnert, wird von der Simminger-Alm im Gschnitztal erzählt: Ein alter Prangerbauer befand sich vor Martini allein auf der Jagd, in dieser wildromantischen Einsamkeit der Berge. Als er dann über den Bergrücken der Wetterspitzen abwärts schritt, sah er am Hohen Boden zwei urgewaltige schwarze Stiere zusammenstoßen, dass es zwischen den Bergen „dröhnte und hilderte“. Man stelle sich dies schaurigschöne Bild vor: Von allen Seiten ist der Hohe Boden von dunklen Wänden und ragenden Bergen umgeben. Die Fernerzunge der Feuersteine leckt bis zur Tiefe. Wildbäche stürzen brausend über Felsen, dass es in den Engen rauscht und brandet. Von den Höhen krachen Steinlanen. Düster drückt die dunkle Herbstbeleuchtung und in dieser urgewaltigen Wildnis sieht ein einsamer Mensch zwei schwarze Stiere, die mit aller Kraft Zusammenstößen, dass es zwischen den Felsen dröhnt und hildert. Dies Bild erinnert an die Urzeiten in den Bergen und bezeugt so recht die abergläubische Furcht der Bergbewohner vor solchen Vorstellungen. (Öttl.)

Ein ähnliches Erlebnis hatte der Ziller-Franz, ein alter Ochsner von Simming. Als er im Spätherbst auf Simming verlaufene Schafe suchte, hörte er plötzlich einen Stier brüllen. Der Hund hat wild getan und ließ sich kaum mehr halten. (Silbergasser.)

So erkennt man aus all den Erzählungen über den Wilden Alber und das Mortas Gstampfe ein zweifaches Bild: einerseits die Sage von der Wilden Jagd und andererseits die christliche Überkleidung. Die Wilde Jagd wurde zu einer Jagd der rein heidnischen Geister gestempelt und wie alles Heidnische als Sache des Teufels angesehen, vor dem man sich bekreuzigen muss. Im Laufe der Jahrhunderte hat sich dann die ursprüngliche heidnische Auffassung ganz verloren und der Teufelsglaube ist an dessen Stelle getreten, vor allem in der Gestalt des Wilden Alber. Dass bei einer solch Wilden Jagd, wo die ganze Natur in Aufruhr gekommen ist und wo alle dunklen Mächte durch die Lüfte sausen, auch der Teufel dabei sein muss, verstand sich von selbst. Gerade zu Novemberzeiten sieht man auch nicht selten fallende Sternschnuppen, die ebenfalls in Zusammenhang mit heidnischen Vorstellungen gebracht worden sind, vor allem in der Gestalt des Wilden Alber, der losgelöst von der Wilden Jagd, zu einer selbständigen Erscheinung geworden ist. Heute ist dabei vom Wilden Alber kein anderer Glaube mehr verblieben, als dass er ein „Fuirstrahl“ ist, ein „abgefallener Stern" oder ein „Schweifstern“, den „der Tuifel reitet!“ Ja, manche Erzählungen gehen sogar darauf aus: Es ist der Tuifel selbst in verschiedenen Erscheinungen!

Auch in einigen Bräuchen scheint sich im Wipptal die Erinnerung an die Wilde Jagd erhalten zu haben. In Matrei konnte der sogenannte „Schimmelreiter“ beim Schellenschlagen in der Fasnacht vielleicht an Wodan erinnern, „der als Führer der winterlichen Stürme aufzufassen wäre“. (Egger.) Vielleicht bezieht sich auch das Kirchtagsläuten der Schuljugend von Steinach und Matrei darauf. Schon eine Woche vor dem Kirchtag springen die Buben auf die umliegenden Hügel und Bühel, mit Glocken und Schellen behangen. Dann schreien sie, läuten mit den Schellen und schnöllen mit der langen Geißel, dass es überallhin hildert und das Bockshorn urweltlich tutet:

„Heunt an Tog, morgn an Tog, übermorgen ist Stoanicher Kirchtog!
gebts uns recht an tollen Brocken, dass wir können die Mauricher klocken!“

Dann schnöllen und krachen sie mit der Geißel und läuten mit den Glocken und freuen sich auf die fetten Kirchtagskrapfen:

„Bueben und Robn,
Lassts enk sogn,
Daß mer an gueten Kirchtog hobn!“

Auch ein uralter Hofname im Wipptal dürfte an den Wilden Alber erinnern, nämlich der Alberhof von Vals. Schon 1313, als der ersten Erwähnung, hauste auf diesem Hof „Steffan Albern Sühn“. Es war daher schon damals ein richtiger Personenname. Berühmt ist der Riese Gallus Gogl, der auf dem Alberhof hauste.
Mit dem Alber dürfte wohl auch der schöne Wipptaler Berg und zugleich der höchste im Gesichtskreise des Wipptales in Zusammenhang stehen: der Olperer, früher wohl Alberer genannt! Vielleicht wurde der Berg nach dem Alberhof benannt, oder von Bergmahdern, die zu diesem Hof gehörten. Solche Bergbenennungen finden sich ja häufig. Viel eher aber dürfte es zutreffen, dass der Name Olperer wirklich mit dem Wilden Alber zusammenhängt. Tatsächlich war ja gerade im Schmirntal die Sage vom Wilden Alber recht lebendig. Der Wilde Ochsner soll ja aus dem Wildenlahnertal zu Füßen des Olperers jährlich seine Wilde Fahrt angetreten haben. Ebenfalls kam der Wilde Alber vom Hüttenjöchl über das Tal geflogen, um beim Wildenlahner, zu Füßen des Olperers, zu verschwinden. Es wäre so leicht möglich, dass der höchste und eindrucksvollste Berg in dieser Gegend nach diesem geheimnisvollen Wesen benannt wurde, vor dem das Volk in den Bergen einstens abergläubische Furcht und Schreck hatte:

„Der Wilde Alber!“

Quelle: Wipptaler Heimatsagen, gesammelt und herausgegeben von Hermann Holzmann, Wien 1948, S. 74 - 85.