Donner und Blitz
Blindwütend und mächtig hausten einst wie auch heute die Naturgewalten in den Bergen, denen die Menschen rettungslos ausgeliefert schienen. Die ganze Natur mit all den vielfältigen Erscheinungen war dem einfachen Bergvolk ein einziges Rätsel und Geheimnis! Ein Geheimnis war das Innere der Berge, wo die Wasser ihren Ursprung nahmen. Ein Geheimnis waren die höchsten Bergspitzen, die keines Menschen Fuß je betreten hatte. Ein Geheimnis waren auch all die anderen so vielfältigen und seltsamen Naturerscheinungen, die sich der Mensch mit rechten Dingen nicht erklären konnte. Und wohl keine Naturerscheinung mag den alten Menschen von früher so gewaltig beeindruckt und auch geängstigt haben wie die Gewitter. Krachend und donnernd toben die Hochwetter über den Bergen. Blitz auf Blitz zuckt hernieder. Dunkel lasten die schweren Wetterwolken. Der Sturmwind heult auf und umbraust das alte, schindelgedeckte Haus, das sich wie ein angstvolles Wesen an den Hang zu schmiegen scheint. Klatschend fallen schwere Hagelkörner auf die Schindeln. Hilflos fühlt sich der Mensch dem Toben der Elemente ausgeliefert. In wenigen Augenblicken kann seine ganze Ernte, die Arbeit und der Lebensunterhalt eines ganzen Jahres vernichtet und zerstört sein! Wasser und Muren bedrohen Haus und Hof. Ein Blitz kann einschlagen. Da fühlt der naturverbundene Bauer auch heute noch die Macht und Größe der Natur und er sucht bei dem Schutz, den er noch größer und stärker glaubt, als es die Natur in ihren Erscheinungen ist.
Dem Städter bedeutet ein Hochwetter eine elektrische Entladung und damit ist alles abgetan. Dem Bauern aber bedeutet es viel, viel mehr. Er fürchtet für Haus und Hof. Schutzlos fühlt er sich dem Toben der Elemente ausgeliefert. Denn furchtbar toben und krachen die Elemente auf den Bergen. Da denkt der Bauer und der einfache Hirtenbub auf der Alm nicht an die „elektrische Entladung“ und auch der Städter würde bei einem rechten Gewitter im Gebirge zu tiefst beeindruckt.
So versteht man es, wenn der Bauer bei einem Gewitter zu religiösen Vorstellungen Zuflucht nimmt und dort seinen Schutz sucht. Mit Kind und Kegel versammelt sich die Familie in der rauchgeschwärzten Kuchel. Alle Türen und Fenster sind geschlossen. Nur ein einziges Fensterchen darf offen bleiben. Das Feuer brennt auf dem offenen Herd. Geweihte, duftende Palmkräuter werden verbrannt. Bei jedem Blitz bekreuzigen sich die Leute und flüstern angstvoll „Heilig’s Kreuz!“ Ängstlich schmiegen sich die Kinder an Mutter und Vater oder drücken sich scheu in den Winkel. Vom Tal her aber klingt wimmernd durch das Heulen des Sturmes die Wetterglocke . . .
So wie heute noch der Bauer Schutz und Hilfe bei Überirdischen sucht, so haben es erst recht die Vorfahren getan, denen ja die Gewittererscheinungen viel geheimnisvoller und gewaltiger waren. Man kann sogar auf Grund gewisser Erscheinungen mit Recht schließen, dass sich gerade bei den Gewittern die meisten Bräuche und Anschauungen aus ältester, noch heidnischer Gedankenwelt des Volkes und Volksglaubens bis zur heutigen Zeit erhalten haben. So wie heute der Bauer mit dem Gewitter religiöse Vorstellungen verbindet, so wie er heute Schutz sucht beim „Heiligen Kreuz“, so hatte er es früher auch getan — aber bei seinen heidnischen Mächten! Heidnische Vorstellungen müssen sich aber gerade in dieser Hinsicht sehr lange im Volk gehalten haben und sind nur langsam vom Christentum verdrängt oder verdeckt worden. Ja, es scheint sogar, als ob sich im Volk die Auffassung entwickelt hätte, dass in den Gewittern die bösen heidnischen Mächte weiterleben, dass sie sich zusammenballen und den Menschen bekämpfen, also der Kampf des Bösen gegen das Gute, worauf sich dann langsam die rein christliche, aber durch Aberglauben entstellte Anschauung ergab, dass der Teufel und seine Helfershelfer, die Hexen und Hexenmeister, in den Gewittern ihr Unwesen treiben!
Daher lässt sich die Vorstellung des Volkes leicht verstehen, dass böse Mächte die Gewitter verursachen können. Die Gewitter sind der Ausbruch und der Versuch böser Geister, die Menschen zu schädigen und ihre Werke zu zerstören. Diese Wesen waren nach der allgemeinen Volksvorstellung Hexen, und zwar sogenannte Wetterhexen. Wenn auch in der allgemein germanischen Vorstellung der Gott Donar als Herr über Blitz und Donner gedacht wurde, der gleichsam zum Zorn und zur Bestrafung seine Blitze auf die Erde schleudert, so gab es doch schon in der germanischen Mythologie Riesen und Halbgötter, die die Wetter hervorzurufen imstande sind. „Was man ursprünglich Göttern, Halbgöttern und Riesen beilegte, die Hervorbringung von Wind, Sturm und Hagel, wurde späterhin menschlichen Zauberern zugesprochen.“ 74)
74) Grimm, Mythologie, S. 365.
Ganz allgemein erkannte man die Wetter als etwas Böses, gegen das man sich schützen müsse. Dazu gebrauchte man religiöse Hilfsmittel. In der Kuchel werden geweihte Kräuter angezündet und das Haus vielfach „bis zum Unterdach hinauf“ geräuchert. Ebenfalls wird Weihwasser im Haus herumgespritzt und der Bauer geht sogar vor die Tür und sprengt das Weihwasser in die Weite hinaus, als ob er damit das Böse beschwören und abwenden wollte. Ebenso hat man auch die geweihten Kräuter auf eine Rauchpfanne gelegt und ist damit vor das Haus gegangen. Beim Schneiderhof in Mareit (Sterzing) hat der alte Nestlgöte sogar ein Feuer vor dem Haus abgebrannt und heilige Kräuter in die Glut geworfen. Damit das Feuer vom Regen nicht ausgelöscht werde, musste es hoch aufbrennen. Um das Haus vor Blitz zu schützen, musste um Maria Heimsuchung das Laub vom Haselstrauch gesammelt und unter Dach aufbewahrt werden, was bei vielen Höfen heute noch geschieht (z. B. Postehof in Tienzens).
Der Haselstrauch war ein dem Gott Donar heiliges Gewächs! Zum Schutz der Saat und daher wohl ursprünglich ebenfalls gegen die Wetter steckt man in Obernberg am Palmsonntag die Palmbuschen auf die Äcker. „Wer die Palmlatten zuerst heimbringt, hat zuerst ein“, das heißt er bringt das Heu als erster Bauer in den Tennen. Dreimal geht man mit der Palmlatte ums Haus, „damit der Geir keine Hennen vertragt“. Auch in Schmirn werden die Palmlatten vom Palmträger dreimal ums Haus getragen, wobei der „Englische Gruß“ gebetet wird. Dann werden die geweihten Kräuter im Stall oder Estrich aufgesteckt, der Palmstock aber wird als „Tränkstock“ verwendet. Teile werden auch auf die Äcker gesteckt.
In Gschnitz wird der Palmbuschen beim Gartenzaun oder vor dem Haus aufgesteckt, „bis die Äcker bestellt sind“ oder bis zum Weißen Sonntag. Aus dem Palmstock werden Kreuzlein geschnitzt, die auf die vier Ecken der bebauten und besäten Äcker aufgesteckt werden. Für diese Kreuzlein wird auch das am Karsamstag geweihte Holz verwendet.
Mit diesen rein religiös-christlichen Zeichen brachte man zum Ausdruck, dass man die Wetter als etwas Persönlich-Böses hielt, als eine böse Macht, gegen die man sich mit solchen Mitteln schützen musste. Denn kein Aberglaube und kein Brauch ist im Volk sinnlos!
Ganz besonders gefürchtet ist der Hagel. Der Hagel, beim Volk „Schaur“ genannt, ist ein Hexenwerk. In manchen Hagelkörnern findet man „fuxete Hoor“ (gelbliche Haare). (Fürst.) Wenn es zu schauren beginnt, dann muss man die ersten drei Kugeln „rücklings in das geweihte Feuer werfen“; dann kann man die böse Kraft noch rechtzeitig bannen. (Zach Nanne.)
Ein weiteres Hilfsmittel gegen Blitz und Donner ist das Wetterläuten, das noch in ganz Tirol in Brauch ist. Den Wetterglocken wurde eine besondere Kraft gegen die Hexen zugeschrieben. Wenn sie rechtzeitig zu läuten beginnen, dann kann man jedes Wetter bannen und die Macht der Hexen ist gebrochen. Das Läuten der Wetterglocken unterscheidet sich vom gewöhnlichen Läuten. Im Eisacktal z. B. müssen die Glocken in drei Absätzen anschlagen. Ganz besonders wirksam soll es sein, wenn man die Glocke — zur Freude der Buben — so hoch hinaufschwingt, dass sie sich „stellt“. Dann müssen die Hexen ersticken und fallen umgekehrt zur Erde, worauf sich das Gewitter verzieht. Die Glocken selbst sind nicht alle gleich stark gegen die Wetterhexen. Der „Brixner Stier“, wie die große Wetterglocke von Brixen genannt war, galt als kräftiger Schutz. Im Stubai hatte die Glocke von Telfes einen besonders starken Ruf, wohl mit Rücksicht darauf, dass die Hexen an der Telfer Seile ihren Haupttummelplatz hatten, von wo sie Hagel und Blitz aussenden. Im Wipptal galt das kleine Glöcklein von St. Jakob als gute Wetterglocke. Der alte Wettermeister Gogl von Obernberg soll von dieser alten Glocke sogar ein Kreuzlein herausgestemmt haben, um damit seine Beschwörungen durchführen zu können. Auf der großen Glocke von Steinach aber stand geschrieben:
„Anne Marie heiß ich,
alle Wetter weiß ich!
Wer mich zuicht,
s’Wetter fluicht!“
Dieser Spruch steht nun wieder auf den neuen Glocken von Steinach (1946).
Woher kamen nun die Wetter, wo wurden sie zusammengebraut? Im Obernberger Tal kamen sie von der Schwarzen Wand, die als unheimliche Stätte gebannter Geister schon erwähnt wurde. Im ganzen Gschnitzer Tal wurden die Wetter an den daher benannten Wetterspitzen, und zwar im Traultal zusammengebraut. In Trins sollen sie von der Warwelers-Wand herkommen, worauf schon früher verwiesen wurde. (Vgl. S. 105.) Wer war wohl einstens dieser Falfermann? Von Trins aus hat es auch wirklich den Anschein, als ob gerade von dieser Wand heraus oder darüber her die Wolken kommen würden. Unheimlich düster nimmt sich diese mit schwarzen Zuntern bewachsene Wand aus. Dass dort die Wichtiler ihre Wohnstätte haben, wurde schon erwähnt. Nach Angabe des alten Salzer-Bauern wurde deswegen der Wand gerade gegenüber ein Wetterkreuz errichtet. Das Wetterkreuz war ausdrücklich zum Schutz gedacht. Ein schönes Beispiel der Verchristlichung einer früher heidnischen Vorstellung bietet auch das gegenüber der Wand errichtete St. Barbara-Kirchlein, das wohl zum Schutz, gegen den heidnischen „Falfermann“ erbaut wurde. Die Macht und Kraft des Namens „Barbara“ ist dann so weit gegangen, dass selbst die ehemalige „Falfermanns-Wand“ zu Warwelers-Wand (Barbara-Wand) umgewandelt wurde, wie A. Egger annimmt. Allerdings wird dieser Zusammenhang von Meßner in seiner Arbeit über Flurnamen im Gschnitztal lautlich als nicht möglich bezeichnet.
Ein Wetterkreuz galt neben dem Wetterläuten als besonderer Schutz gegen das Gewitter, beim Volk „Hochwetter“ genannt. Fast immer handelt es sich um das zweibalkige Kreuz, das auf Almen und Bergen errichtet wird. Früher wurde heiliges Salz, das sogenannte „Kinigensalz“ und ein Stück „Elxenholz“ in die Balken eingebohrt. Die Wilderer haben sich daher ein solch geweihtes Holz aus dem Wetterkreuz ausgeschnitten und in den Schaft ihrer Büchse eingebohrt. Damit wurde die „Büchse treffsicher“. (Fürst.) Manche Wetterkreuze wurden an Stellen errichtet, wo ein Mensch oder Tier vom Blitz erschlagen wurde, so am Hoggenauer Joch. Sonst aber ragen sie gebieterisch auf solchen Bergen, wo die Wetter am stärksten toben oder von woher sie kommen, wie bei der Warwelers-Wand in Trins oder am Hohen Wetterkreuz oder am Fuß des Olperer. Ungemein eindrucksvoll, inmitten der wildesten Moränenhügel, wo das Wildenlahner-Tal schluchtartig in die Tiefe bricht, in großartiger Bergeinsamkeit, inmitten von urtümlichen Gesteinblöcken, mit keinem einzigen Fleckchen Grün, umbraust und umrauscht von den Fernerbächen, die sich aus dem Olperer-Ferner ergießen — hebt sich hier ein doppelbalkiges Wetterkreuz, als wollte es dem Wetter und dem Wildbach gebieten! An keiner Stätte des Wipptales, auch nicht am Wetterkreuz in Obernberg, kommt dieser Gedanke eindrucksvoller und mächtiger zum Ausdruck, dass hier der einfache, naturgebundene Bergmensch dem blindwütigen, riesenstarken Toben der Elemente mit dem Kreuz Halt gebieten will!
Auf dem Dachgiebel der Berghöfe aber ist ein anderes Wetterzeichen angebracht, die zwei Böcke und dazwischen das doppelbalkige Wetterkreuz. Die Bockköpfe sind noch heidnischen Ursprungs. Vom Christentum ist jedoch dieser heidnische Glaube nicht beseitigt worden, sondern das Sinnbild des Christentums, das Kreuz, wurde zwischen den Bockköpfen eingesetzt. Dass es sich bei diesen Hauszeichen tatsächlich um einen Wetterschutz gehandelt hat, geht daraus hervor, dass nicht das einbalkige Kreuz, sondern das doppelbalkige sogenannte Scheyrer-Kreuz angebracht ist. Dieses doppelbalkige Kreuz wird auf den Bergen immer als Wetterkreuz verwendet. So hat das Sinnbild des Kreuzes langsam den heidnischen Donnergott verdrängt, so dass heute jede Erinnerung an irgend ein Heidenzeichen erstorben ist. Selbst die ältesten Leute behaupten, die Steinböcke seien nur zur Zierde angebracht.
Das Scheyrer Kreuz wurde auch zur Bekämpfung von Hexen beansprucht. So berichtet der Benediktiner P. Angelus aus Augsburg im Jahre 1766, dass dort jährlich mindestens 40.000 Nachbildungen des Scheyrer Kreuzes zum Schutze gegen Hexenwerk, Giftmischerei und Unwetter, das von Hexen verursacht werde, ausgegeben wurden (Cod. lat. Monac. 26441 S. 193). In Tirol wurden solche Holzschnitte und Einblattdrucke durch die Märkte von Hall und Bozen verbreitet (A. Dörrer, Etschländer Buchwesen und Geistesleben, in: Der Schlern 1932/33).
Aber die eigentlichen Wetter wurden im Gschnitztal im wilden Traul, am Fuße der Wetterspitzen, zusammengebraut. Noch heute schaut der Bauer im Hochsommer zu den Wetterspitzen empor. Wenn sich dort die Wolken zusammenballen, dann beeilt er sich mit der Heuarbeit, um dem Wetter zuvorzukommen. (Silbergasser.) Sagen sind keine bekannt.
Im Traultal ist es auch nicht geheuer. Einmal ist ein Gamsjager im Spätherbst am Abend allein über die weite Talmulde hinaufgestiegen. Da sah er plötzlich vor sich einen einsamen Bergwanderer. Er wollte ihn einholen und rief ihm nach, er solle doch warten. Aber so schnell er ging, umso schneller ging auch der seltsame Mann, bis er auf einmal vor seinen Blicken verschwand. Auch in der dortigen Almhütte soll eine Ung’schicht sein. Ein Hirte verbrachte einmal im Herbst die Nacht allein in der sogenannten Legnhütte. Da hat es ihn so bearbeitet und „gebeutelt“, dass er am nächsten Morgen kaum mehr heimgehen konnte. (Öttl.)
Im Volk bestand die Vorstellung, dass die Wetter von Hexen gemacht werden. Es leben tatsächlich noch heute Gestalten der alten Hexenmeister in der Volkssage weiter, vor allem Pfeifer Huisile von Pflersch:
Pfeifer Huisile, von dem schon einige Geschichten erzählt wurden, muss ein sonderbarer Kauz gewesen sein. Er galt als gefürchteter Wettermacher. Einmal hat er mit zwei Katzen bei den Bergmähdern des Lorenzenberges Wasser geführt. (Die Hexen können sich in Katzen verwandeln.) Allerdings schweigt die Sage, wie er das zustande brachte. Da kam er bei einem Bauern vorbei, der eilig auf den Mähdern arbeitete. Die Frau war gerade beim Kochen in der Kochhütte. Abweisend und ohne viel zu reden, lässt er den Hexenmeister mit seinem sonderbaren Gespann vorübergehen. Ein zweiter Bauer weiß aber die Kraft des Hexenmeisters zu schätzen. Freundlich redet er mit ihm und ladet ihn ein, seine Krapfen zu essen: „Huisile, geah her! Iß ein’n Krapfen mit mir!“ Dies kam ihm hernach zugute. Denn am selben Nachmittag fuhr ein so fürchterliches Wetter über die Berge, dass der Nachbar mit dem Heuarbeiten bald aufhören musste, „ja, es schwenzte ihm sogar die ganzen Scheiben in die Tiefe“. (Das Bergheu wird in langen „Scheiben“ zusammengerecht.) Der andere Bauer aber, der den Hexenmeister bewirtet hatte, konnte während des Wetters noch sein Heu trocken hereinbekommen, ja, bei ihm schien noch die Sonne.
Einmal scheinen die Obernberger den alten Hexenmeister schwer erzürnt zu haben. Daher hatte er den Beschluss gefasst, das ganze Tal einfach „hinauszuschwenzen“. Dazu brauchte er ein grimmiges Hochwetter und gleichzeitig wollte er den Obernberger See „auslassen“. Fast wie eine urgermanische Vorstellung vom Donnergott mutet nun das folgende Bild an, das vom Volk erzählt wird: Am Suntiger Joch (Tribulaun, Sandjöchl) hatte der Hexenmeister das Wetter zusammengebraut und nun „fuhr er wie ein wilder Teufel auf einem Bock über eine Reiße (Steinhalde) herunter gegen den Obernberger See und hinter ihm war alles schwarz!“ Aber er war mit den Wettern noch nicht bis zum „Holz“ (Wald) gekommen, da begannen schon die Wetterglocken zu läuten und zu bimmeln, dass der Pfeifer Huisile mit seinem „Wilden Heer“ beschämt wieder umkehren musste. Denn jedes Wetter kann man bannen, wenn es noch nicht bis zum „Holz“ (Wald) gekommen ist. (Fürst.)
Seltsam muss dies Gespann des Hexenmeisters ausgeschaut haben: Das eine Mal führte er mit Katzen Wasser, in Mareit hat er mit Böcken auf das Joch Schnee geführt und in Obernberg reitet er auf einem Bock über die „Reißen“ herunter! Erinnert diese Vorstellung nicht ganz an den Gewittergott Donar, der den „Blitzhammer schwingt und auf einem Wagen von zwei Böcken gezogen, fährt . . .?“
Schon Grimm verweist auf die Tatsache, dass die Böcke vom Christentum gerne als Sinnbild des Teufels gebrandmarkt worden sind. Noch ist der Bockfuß sein Erkennungszeichen!
Auch im Valsertal ist der Hexenmeister Pfeifer Huisile nicht unbekannt: einmal keuchten Heuzieher über die steilen Bergwiesen außerm Flittner (Sonnseite) in die Höhe. An der steilsten Stelle rodelte plötzlich Pfeifer Huisile schön gemütlich nach aufwärts, als ob es von selber ginge. Spöttisch meinte er: „Buben, tuat einmal rasten! Ist weiten stickel da augen!“ Im weiteren Gespräch haben die Valser gemeint: „Huisile! Tue uns den Padauner Kogl oschar’n (abscheren), was kostet es . . .?“ Huisile gab lachend zur Antwort: „Nur eine Marend!“ (Jause). Aber dann fragte der Hexenmeister, wo er den Schutt dieses Berges hintun sollte. Daraufhin wussten die Valser keine Antwort und so blieb der Berg doch noch am selben Fleck. Huisile aber ist lustig weiter den Berg hinauf gerodelt, als ob es von selben ginge. Von daher stammt die Redensart, dass der Hexenmeister den Padauner Kogl um nur eine Marende hätte abtragen können. So groß war seine Macht . . . (Gatt J.)
In gleicher Weise wollte der Hexenmeister auch gegen das Mareiter Tal seinen Zorn auslassen und wie in Obernberg auch dieses Tal „ganz ausschwenzen“. Einen Winter lang hat er mit einem Bock von Pflersch auf das Winkeljoch Schnee geführt, um im Frühjahr die Lahne loszulassen. Aber da haben die Glöcklein des uralten Laurenzi-Kirchleins in Ridnaun von selbst zu läuten angefangen und der Hexenmeister musste sein Spiel aufgeben. Folgende Worte soll er gesagt haben: „Wenn die Lorenzi-Schelliler nit geläutet hatten, dann hatten die Moarer-Almschellen und die Sennen-Kochkellen Feirum gehabt“; damit wollte er sagen, dass die Höfe von Moaren und die Sennenhöfe verschüttet worden wären. (Volgger, Reisigbauer in Ridnaun.) Zur Erinnerung daran haben die Bergbauern von Mareit ein Gelöbnis gemacht, jährlich einmal über den Brenner auf die eine gute Tagreise entfernte Wallfahrt Maria Waldrast bei Matrei zu gehen. Jährlich bis zum Jahre 1918, als die Grenze am Brenner errichtet wurde, ist im Juni die Wallfahrt der Mareiter und Ridnauner Bauern durch das Wipptal auf die Waldrast gegangen. „Itz kommen die Mareiter Kreuz“, hat man gesagt. Auf der Waldrast haben die Wallfahrer in einem Stadel übernachtet und sind am nächsten Tag wieder zurück.
Pfeifer Huisile hat dann ein sehr ruhmloses Ende in Mühlau erlebt, und zwar wurde er gefangen und als Hexenmeister verbrannt. Dreimal entkam er aus dem brennenden Ölkessel, da ihm die Leute Erde zuwarfen (vgl. S. 147). Endlich aber war doch der Bann gebrochen; „husch, husch“ hat er immer gewinselt. „Husch, husch!“ Wir mögen es dem armen Hexenmeister nicht übelnehmen, wenn er so geschrien hat, als die Flammen über ihn zusammenschlugen. Dies ist gleichzeitig auch das einzige Beispiel, dass eine Wipptaler Sage von einer Hexenverbrennung erzählt . . . (Fürst.)
Häufig findet sich auch die Vorstellung, dass die Wetterhexen auf den Fernern droben ihr Unwesen treiben und dort die Wetter vorbereiten. Manchmal sieht man daher die Hexen „auf den Fernern Eis hacken“! So erzählt der alte Silbergasser von Gschnitz, dass sein Nehdl an einem schönen Sommertag zum Pfarrer gesagt hat: „Heut kimmt a Wöter!“ Der Pfarrer wollte es nicht glauben. Da hieß ihn der Bauer, die eigenen Schuhe anziehen, und nun sah der Pfarrer selbst, wie die Hexen beim Simminger Ferner Eis hackten. Der Pfarrer ist dann gerade zurechtgekommen, die geweihten Glocken zu läuten und den Hexen zuvorzukommen! — In Gschnitz beachtete man auch folgenden Brauch: Bei der Auferstehung zu Ostern wird der „Herrgott aufgezogen“, wie der Ausdruck lautet. Natürlich dreht und wendet sich dabei die Figur. Die Bauern beobachten nun, in welche Richtung der Herrgott zu schauen kommt. Von dieser Seite sollen im Sommer die Wetter herkommen! (Silbergasser.) Der Engeltanz und die Wettervorhersage bei der Sterzinger Auffahrtsfeier sind im Lande sprichwörtlich geworden, wie A. Dörrer im Einführungsband zu den Bozner Bürgerspielen (S. 98 f.) schildert.
So wie es Wettermacher, gegeben hat, so gab es auch Wetterbeschwörer. Denn wenn die Wetter als etwas Böses aufgefasst wurden, dann konnte man gegen sie kämpfen. Meist handelt es sich um rein christliche Behelfsmittel.
Im Volk ist noch heute die Gestalt des Neckl-Gogl von Obernberg in guter Erinnerung. Der Neckl-Gogl kann als letzter Vertreter dieser etwas seltsamen Sippe angesehen werden. Bei einem Hochwetter ist er wie verrückt um einen Hackstock gesprungen, wobei er seltsame Sprüche murmelte. Nach dem „Schaur“ sagte er selbstzufrieden: „Itzt hun i’s grod no derrichtit!“ Merkwürdigerweise aber soll das Tal von Hochwettem verschont geblieben sein, solang er an der Arbeit war. Als der Gogl dann alt geworden war, fragte ihn einmal ein Bauer, was denn die Leut mit dem Wetter tuen werden, wenn er nimmer am Leben wär. Da hat der alte, knorrige und verwetterte Dickschädel traurig genickt: „Hart werden sie’s haben! Verflucht hart — mit die Wötter“, sagte er dann. Und doch ist es später auch ohne den alten Gogl gegangen, der sich sogar ein Kreuzlein aus der Wetterglocke von St. Jakob heimlich herausgestemmt hatte.
Wohl keine Naturerscheinung hat den Menschen in Berg und Ebene so sehr beeindruckt wie das Gewitter, wie Blitz und Donner. Im bunten Durcheinander haben sich eine Unmenge alter seltsamer Bräuche bis zur neuesten Zeit erhalten.
„Heilig’s Kreuz“ betet das Bergvolk beim grellen Schein der Blitze und beim Schlagen der Donner. Geweihte Kerzen werden im Haus angezündet und in das offene Feuer werden geweihte Wetterkräuter geworfen. In Mareit bei Sterzing wurde noch vor 50 Jahren das geweihte Feuer vor das Haus getragen, damit die heilige Kraft die Gewitter unschädlich mache und vertreibe! Um Maria Heimsuchung sammelt man noch heute das Laub der Haselstauden und bewahrt es unterm Dach auf, damit der Blitz nicht einschlagen soll. Nun aber war gerade die Haselrute ein dem Donar heiliges Gewächs! Die Haselrute spielt auch sonst im Volksglauben eine große Rolle.
So sind ehemals heidnische Bräuche vom Christentum veredelt und übernommen worden. Damit hängt wohl auch der volkstümliche Name „Pfinztig“ (Pfingsttag) für Donnerstag zusammen, falls es nicht den fünften Wochentag bedeutet. Im gleichen Sinne fällt auch die Feier des Festes Christi Himmelfahrt, das vom Volk besonders feierlich begangen wurde. Vielleicht, dass die seit uralten Zeiten begangene Prozession zur Hueben-Kapelle bei Steinach eine Art Flursegen bedeutete.
Aber in der trockenen Gegenwart wurde den Gewittererscheinungen der Nimbus des Geheimnisvollen genommen. An Stelle des heiligen Feuers und der Wetterglocken, an Stelle von Beschwörungen und Zaubersprüchen sucht sich der nüchterne Blitzableiter einzuschleichen. Aber trotz allem glaubt das Volk noch heute fest an viele Gewitterbräuche, vor allem an das Wetterläuten . . .
Quelle: Wipptaler Heimatsagen, gesammelt und herausgegeben von Hermann Holzmann, Wien 1948, S. 184 - 195.