Alte Höfe im Wipptal in Geschichte und Sage, Josef Gratl
Dieser Aufsatz stammt aus dem Nachlass des Josef Gratl, Besitzer des historischen Hochgenäuerhof ob St. Jodok, welcher im Frühjahr 1912 in Innsbruck durch die Straßenbahn tödlich verunglückte. Josef Gratl studierte Rechtswissenschaften in Innsbruck, ehe er den Besitz seiner Vorfahren übernahm. Zuletzt bewirtschaftete er den Hochgenäuerhof.
Innsbrucker Nachrichten, Dienstag den 31. Dezember 1912.
Alte Höfe, welche sich aus grauer Vorzeit bis auf den heutigen Tag in ihrem Urbestand, in ihrem früheren Umfang erhalten haben, gibt es nicht nur im Wipptal allein, sondern in Tirol überhaupt nur noch sehr wenige. Das Grundbuch rief eine Anzahl sogenannter Höfe ins Leben, welche aber mit den eigentlichen alten Hofbesitzungen nichts zu tun haben und von diesen grundsätzlich verschieden sind. Die Zeit der Gründung und Begrenzung des Besitztums der alten Höfe ist schwer zu bestimmen, sicher ist aber, dass die meisten Hofbesitze der Jetztzeit lediglich durch die Verhältnisse der Zeit neu gebildet, und zwar aus Teilen der alten Höfe, welche sich im Lauf der Zeit ausgelöst haben, oder zerstückelt wurden. Häufig kommt es sonach vor, dass solche Teile gelegentlich der Grundbuchs-Anlegung mit den ursprünglichen Höfen, aus denen sie seinerzeit abgetrennt wurden, gar nicht mehr identifizierbar sind.
Zu solchen uralten Höfen, welche sich aus alter Vorzeit trotz aller Stürme im Inneren unseres Landes Tirol bis auf den heutigen Tag noch ungeteilt und unverändert erhalten haben, zählen im Wipptal nachgewiesenermaßen folgende:
Der Hochgenäuner-Hof in Außerschmirn bei St. Jodok
Der Name Hochgenäun ist ganz zweifellos mit dem germanischen Volksstamme der Genaunen, welche einst das Gebiet im Bereich des Brenners bewohnten, in Verbindung zu bringen. Schon der römische Schriftsteller Tacitus erwähnt die Genaunen, auf welche die Römer unter ihrem Feldherrn Drusus Im Jahr 30 vor Christus, in der Gegend des Brenners gestoßen sind und die den Römern arg zu schaffen machten. Tacitus berichtet von ihnen:
„Implacidum genaunorum genus forte in pugna, sed benignum in pace.“
„Das raue Geschlecht der Genaunen, tapfer im Kriege, aber gut im Frieden“.
Die heutigen Benennungen Hochgenäun und Riedgenäun in Schmirn, Valginol, am Eingang im Gschnitztal, deuten ohne Zweifel auf ehemalige Ansitze von Angehörigen dieses tapferen germanischen Volksstammes hin.
Aus der Geschichte von Hochgenäun ist im Volksmund folgendes erhalten: In grauer Vorzeit hauste auf Hochgenäun ein Riese, der unter dem Namen „Der Hochgenäuner“ als ein baumstarker Mann weit und breit berühmt und bekannt war. Einige Kraftproben, welche der Hochgenäuner vollführte, mögen diese Nachsage bestätigen.
Es fuhr eines Tages ein Fuhrmann mit seinem schwerbeladenen Wagen, welcher mit vier Pferden bespannt war, auf der Landstraße bei Stafflach, welches ehemals Stavanes geheißen haben soll, brenneraufwärts. Der gute Fuhrmann kam aber auf dem berganführenden Weg mit dem schwerbeladenen Wagen nicht mehr vorwärts. Der Hochgenäuner war gleichfalls mit seinem Ochsengespann auf der Straße. Als der Fuhrmann des wegen seiner Körperkraft berühmten Mannes ansichtig wurde, ersuchte er ihn, er möge ihm mit seine zwei Ochsen gegen gute Bezahlung bis Brenner vorspannen. Allein der starke Hochgenäuner lachte den Fuhrmann aus und meinte, dieses „Wagele“ führe er mit seinen zwei Ochsen leicht allein auf den Brenner hinauf. Dies schien dem Fuhrmann denn doch zu stark und es entspann sich über die Möglichkeit des Hochgenäuners ein kurzer Wortwechsel. Das Ergebnis der Auseinandersetzung war eine ziemlich hohe Wette, bei der sich der Hochgenäuner jedoch ausbedang, dass er selbst auch ein wenig mitziehen dürfe. Der Fuhrmann spannte also seine vier Pferde aus, der Hochgenäuner schirrte seine zwei Ochsen an den schwerbeladenen Wagen und fuhr dann mit diesem dem Brenner zu. Es soll gerade nicht leicht, aber auch nicht sehr schwer gegangen sein, aber ohne Anstand erreichte der Hochgenäuner den Brennerpass. Als man jedoch näher nachsah, stellte es sich heraus, dass der Hochgenäuner, wie er voraussagte, selbst auch „ein wenig mitgezogen“ hatte. Dies zeigte sich sehr deutlich an dem eisernen Setznagel, durch welchen die zwei Ochsen an den schwerbeladenen Wagen gespannt waren. Diesen starken Eisenstift hatte der Hochgenäuner krumm gezogen. Das Erstaunen der Leute über die unerhörte Kraft des Mannes war groß und die erhebliche Wette ehrlich gewonnen.
Ein anderes Mal drang die Kunde in die Täler Tirols, dass ein Riese aus dem Bayernlande nach Hall gekommen sei und die Tiroler zum Zweikampf im Ringen herausgefordert habe, es finde sich aber – lautete die Kunde – niemand der sich mit dem Riesen messen wolle. Dies kam auch dem Hochgenäuner zu Ohren. Dieser meinte, da müsse entweder einer von seinen mehr als starken Söhnen oder gar er selbst nach Hall gehen und es mit dem Bayern aufnehmen, um den Ruf der Tiroler zu wahren.
Vorerst sollte die Probe gemacht werden, welchem von den drei Hochgenäunern, dem Alten und den zwei Jungen, die Aufgabe zufallen solle, in Hall die Farben der Tiroler zu vertreten. Hiezu wurden hinter dem Hause stehende, große schwere „Taxstöcke“ (Holzstöcke zum Streumachen), gewählt. Zuerst nahm der jüngste Sohn den massiven und schweren Taxstock und warf ihn bis an den First des Hauses; der ältere Sohn brachte ihn ein Stück höher bis ans Dach hinauf; der starke Hochgenäuner selbst aber schleuderte ihn über das ganze ausgedehnte Haus weit hinaus. Nach dieser Auswahl der Kraftproben meinte der Alte, es bleibe nichts Anderes mehr übrig, als in eigener Person seine Kraft mit dem bayerischen Riesen in Hall zu messen.
Der Hochgenäuner machte sich reisefertig und zog gleich am nächsten Tag wohlgemut über die Ellbögnerstraße nach Hall. Dort glücklich angekommen, meldete er sich sofort zum Zweikampf mit dem Bayern. Die Kunde, dass der als baumstarker Mann weit und breit bekannte Hochgenäuner sich zum Zweikampf gemeldet hatte, verbreitete sich wie ein Lauffeuer in der ganzen Stadt und alles war in hohem Grade gespannt auf den Ausgang dieser hochinteressanten Kraftprobe. Der Riese aus Bayern soll schlank und schön gewachsen und im besten Alter stehend, nicht weniger als neun Fuß gemessen haben, während der Hochgenäuner robuster gebaut, auch erheblich älter war und nur acht Fuß maß.
Es wurde dann seitens der Kampfrichter Tag und Stunde des Zweikampfes bestimmt und weiter angeordnet, dass derselbe auf dem unteren Stadtplatz stattfinden soll. Ganz Hall war damals auf den Beinen, Handel und Verkehr ruhten wie an einem Festtag; auch viele Innsbrucker und andere kamen nach Hall geritten und gegangen um diesem seltenen Schauspiel beiwohnen zu können. Als der Riese aus Bayern des Hochgenäuners ansichtig wurde, meinte er, mit diesem schon etwas betagten Bauern werde er bald fertig sein und bedauerte es, dass Tirol nichts Besseres zu bieten vermöge. Vorerst wurde seitens der Kampfrichter noch erörtert, ob der Zweikampf mit Anlaufen oder mit Anfassen beginnen soll. Der Riese aus Bayern machte den Vorschlag: „Mit Anfassen, damit dem Bauern nicht gar zu hart geschehe und er ihn sanft auf den Boden legen könne.“ Der Hochgenäuner war seinerseits mit diesem rücksichtsvollen Vorschlag auch einverstanden.
Die beiden Männer stellten sich am unteren Stadtplatz in der Mitte der zahlreich erschienenen Zuschauer auf und auf den Ruf „Eins, Zwei, Drei“, fassten sich die beiden herkulischen Gestalten. Im nächsten Moment quoll dem Riesen aus Bayern das Blut aus Mund und Nase und er fiel wie leblos aus den Armen des Hochgenäuners zur Erde; dieser hatte ihm den Brustkorb eingedrückt.
Als Anerkennung für diese Kraftleistung sollten der Hochgenäuner und dessen Rechtsnachfolger auf dem Hof zu Hochgenäun für immerwährende Zeit salzfrei werden, und zwar mit einem Quantum, das der Sieger von Hall nach dem Hochgenäuner-Hof in Schmirn zu tragen vermöchte. Der starke Hochgenäuner lud sich nun sieben Fudermaß Salz auf und begab sich mit dieser ungeheuren Last, welche dem heutigen Gewicht von etwa 600 Kilogramm entspricht heimwärts. Eine Menge Neugieriger außer den bestellten Zeugen dieser Kraftleistung lief dem Hochgenäuner nach.
Der Hochgenäuner erreichte mit seiner schweren Last glücklich seinen Hof und lebte dort nach wie vor der Bewirtschaftung desselben.
Der Ruf des starken Mannes verbreitete sich immer mehr und besonders der Landesfürst war dem Hochgenäuner in Gunst zugetan. Der Regent soll einst erklärt haben, dass aller Grund und Boden, soweit der starke Hochgenäuner seinen Tengel-Hammer (nach einer anderen Version eine Eisenstange) nach allen vier Himmelsrichtungen zu werfen vermöge, ihm und seinen Rechtsnachfolgern für immerwährende Zeiten zu eigen sein soll. Diese Kraftprobe erfolgte auf dem Hochgenäuner Joch, von wo aus der Hochgenäuner nach allen Himmelsrichtungen soweit geworfen haben soll, als die heutigen Grenzen des Hochgenäuner Hofes reichen.
Dies stimmt allerdings mit den heute erhobenen geschichtlichen Einzelheiten nicht genau überein; allein den alten Volkssagen liegt in der Regel ein guter Kern und viel Wahrheit zu Grunde. Im gegenständlichen Fall lässt sich der Kern der Sache unschwer herausschälen.
Der Hochgenäuner-Hof bildete ehemals inhaltlich des im k. k. Statthalterei-Archiv in Innsbruck aus den Urbaren Meinhards II., Herzog von Kärnten und Grafen von Tirol, im Jahre 1286 ein f. Erbzinsgut des genannten Herzogs Grafen und sodann hat dessen Sohn, König Heinrich von Böhmen und Graf von Tirol, diesen Hochgenäuner-Hof als Erbzinsgut laut der noch im Stadtarchiv in Innsbruck verwahrten Originalurkunde mit Siegel vom 16. Jänner 1329, dem Spital zum heil. Geiste in Innsbruck gestiftet und zu Eigen verliehen. Diese Eigentumsverleihung bzw. Stiftung wurde dann seitens mehrerer h. Landesfürsten, insbesondere auch seitens des Königs Heinrich, Herzogs zu Österreich und Grafen von Tirol, laut Originalurkunde mit f. Siegel vom 21. Jänner 1443 (im Stadtarchiv zu Innsbruck), neuerdings betätigt und hierbei nachdrücklich betont, dass die kompetenten Stellen das Spital zum heil. Geiste in Innsbruck als Obereigentümer des gegenständlichen Hochgenäuner-Hofes, sowie die „Bauleute, so denn innehaben und bebauen“ als Untereigentümer an den Gnaden der „Freyung“ und „Signung, so ihnen der König Heinrich getan hat“ nach Inhalt seiner „Briefschirmen“ und Fristen gegen männiglich vor Unrecht und Gewalt. Es liegt demnach tatsächlich eine Eigentums-Verleihung der uralten und noch heute erhaltenen Volkssage zugrunde.
Man erzählte sich noch andere ähnliche Kraftleistungen von ihm und über sein Ende ist die Sage verbreitet, der Hochgenäuner fiel im Kampf, nachdem er 30 Feinde im Handgemenge erschlagen hatte, von einem Pfeil tödlich getroffen.
Wer die Gegner des tirolischen Riesen waren, ist aus den mündlichen Überlieferungen nicht genau zu ermitteln; Anzeichen und Einzelheiten aber weisen auf Bayern hin, die in Tirol eingedrungen waren. Demnach könnte es sich um die Einfälle der Bayern Mitte 1300 oder Anfangs 1400 handeln. Dann wäre auch die Zeit der Begebenheiten aus dem Leben des berühmten Hochgenäuners ermittelt. Aufzeichnungen hierüber sind keine vorhanden, da alle diese Einzelheiten auf mündlichen Überlieferungen beruhen. Interessant ist wohl auch, dass sich auf dem Hochgenäuner-Hof zwei uralte, große Schwerter, Zweihänder und eine Hellebarde vorfanden, was auf einem so hochgelegenen Einzelhof wie der Hochgenäuner-Hof einer ist, wohl nur so zu begründen ist, dass es in der Vorzeit einmal Haudegen auf dem Hofe gegeben hatte.
Eine weitere Tatsache ist, dass sich die ehemaligen Inhaber dieses uralten Hofes auch „Hochgenäuner“ schrieben; der Letzte war laut Pergamenturkunde vom Jahr 1517 Konrad Hochgenäuner.
Heute ist die Familie Gratl im Besitz des Hofes.
Hiermit scheide ich vom Hochgenäuner-Hof und gehe zum nächstfolgenden, uralten Hofbesitz über. Es ist dies
Der Pirkbauer-Hof in Innerschmirn.
In welche Zeit die Begründung und Begrenzung dieses Hofes fällt, lässt sich gleichfalls nicht annähernd bestimmen; jedenfalls ist er sehr alt. In einem Urbar des k. k. Statthalterei-Archivs in Innsbruck findet sich der gegenständliche Hof schon im Jahr 1332 vor, während laut einer noch vorhandenen Pergamenturkunde vom Jahr 1445 den Besitzern des benachbarten Oberer-Hofes auf einem bestimmten Teil des ersteren, d. i. in dem dazugehörigen Berge, eine Schneezuflucht mit ihrem Vieh (Weiderecht während der Dauer schlimmer Witterung und Schneefall) eingeräumt wird. Nach einer Volkssage, welche sich immer noch erhalten hat, sollen sich in der grauen Vorzeit im Tal Schmirn „Wilde Fräulein“ aufgehalten haben. Ihr gewöhnlicher Aufenthalt war in den dichten Wäldern und hohen Gebirgen; vielfach besuchten sie aber auch den Pirkbauer-Hof und hielten sich dort oft durch längere Zeit auf, unterstützten die Leute bei ihrer Arbeit und erfreuten sie durch ihren wundervollen Gesang. Unter diesen tat sich besonders ein Fräulein Mimanre, nach einer anderen Version Mimanda, hervor; sie soll nicht nur wunderschön, sondern auch ein ausnehmend kluges Fräulein gewesen sein. Eines Tages fuhr der Großknecht des Pirkbauer-Hofes mit einem Ochsengespann spät abends durch das Tal Schmirn heimwärts. Da rief ihm eine traurig klingende, aber mächtige Stimme, welche von einem riesenhaften Mann zu kommen schien, vom Walde herunter zu: „Unser König Engl ist tot!“, er möge das seinen drei Töchtern, welche sich zur Zeit gerade auf dem Pirkbauer-Hof aufhielten, berichten. Als der Knecht heimkam, meldete er den „Wilden Fräuleins“ die Trauerbotschaft. Diese brachen in heftiges Weinen aus und erklärten ohneweiteres, ihr Bleiben im Tal Schmirn sei aus Ortsbenennungen in den Bergen wie: Fräuleins-Quelle, Fräuleins-Spitz, Fräuleins-Gufel sollen noch heute an sie erinnern.
Der uralte Pirkbauer-Hof führt heute nicht mehr diesen alten Namen, sondern derselbe erscheint nunmehr in zwei Höfe aufgeteilt, welche Madnerhöfe genannt werden und noch immerhin in Ansehung ihrer prächtigen Lage und Arrondierung zu den schönsten und ansehnlichsten Höfen des ganzen Wipptales zählen.
Nach einer erhaltenen Volkssage soll das Tal Schmirn in der grauen Vorzeit ein unbewohntes und sehr wildes Tal gewesen sein, in dem es nur undurchdringliche Wälder und wilde Tiere gab. Niemand wollte daher in dieses abgelegene und unwirtliche Tal hinein. Da verfielen die weisen Väter in Matran (Matrei, ehemals Matran) zwecks Besiedelung des Tales auf ein ebenso originelles wie einfaches Mittel. Nachdem freiwillig niemand in das wilde und ungastliche Tal hineinwollte, stellten die weisen Väter von Matran junge und kräftige Paare zusammen und feierten eine Reihe von Hochzeiten, bei denen es heiter und fidel zuging, so dass gar nichts zu wünschen übrigblieb. Nach den beendeten freudigen Hochzeiten aber kam die Kehrseite und die weisen Väter von Matran schritten zur Ausführung ihres Planes. Sie beriefen die neuvermählten jungen Paare, „schmierten“ (peitschten) sie weidlich mit starken Ruten durch und jagten sie unbarmherzig durch den heutigen Lorleswald in das raue Tal hinein, mit dem strengen Verbot, ja nicht wieder herauszukommen, ehe sie sich nicht dort angesiedelt und häuslich eingerichtet hätten. Es war daher auch kein Wunder, dass die jungen Leute infolge dieser Behandlung „lurlten“, d. h. heftig und laut weinten. Vom „Lurlen“ soll der Name Lorleswald und vom „Schmieren“ der Name Schmirn herrühren.
Nach dieser letzten Abschweifung kehre ich zum letzten uralten und noch erhaltenen Hofe zurück:
Der Larcher-Hof in Vals bei St. Jodok.
Dieser Hof zählt gleichfalls zu jenen Besitzungen, welche sich in ihrer Gänze ungeteilt und unverändert bis auf den heutigen Tag erhalten haben. In der Vorzeit soll diesen Hof ein Mann innegehabt haben, welcher Larcher hieß und es verstand, aus der Jute (Molke), Gold zu machen. Dies wäre ebenso bequem wie vorteilhaft gewesen, wenn es Gemeingut geworden wäre. Allein in des Wortes reinster Bedeutung war dies nicht zu verstehen, sondern damit wurde vielmehr zum Ausdruck gebracht, dass der alte Larcher die Bewirtschaftung des Hofes von Grund aus verstand; er erfreute sich deshalb ungewöhnlicher Wohlhabenheit.
Der gegenständliche Larcherhof war ein Lehensgut der Grafen Trautson auf dem Schlosse Matrei und kommt schon in den ältesten im Schlossarchiv Matrei verwahrten Urkunden aus dem 13. Und 14. Jahrhundert vor. Die älteste diesbezügliche Verleihungs-Urkunde, welche sich gleichfalls im genannten Archive als Pergament-Urkunde verwahrt, vorfindet, erscheint vom Jahr 1556 datiert, eine weitere Urkunde den gegenständlichen Hof anlangend, ist vom Jahr 1487 und findet sich im Widums-Archiv in St. Jodok. Noch heute zählt der in Rede stehende Larcher-Hof zu den schönsten arrondierten Höfen Wipptals.
Im Wipptal existieren nur noch die drei angeführten uralten Höfe, welche sich aus grauer Vorzeit in ihrem alten Bestand erhalten haben. Besonders charakteristisch für sie ist, dass sich viele alte Sagen an sie knüpfen.
Solche alte Einzelhöfe haben einen ganz respektablen Umfang und es gingen aus solchen Besitztümern ganze Weiler und Ortschaften hervor. So z. B. bildeten sich aus dem Lorleswalder-Hof in Außerschmirn im Lauf der Zeit 7 Bauernschaften mittleren Ranges nebst einer Reihe von Privat-Waldparzellen, Wiesen und Mähdern heraus. Aus dem sog. Rohrach-Hof dort ging der Weiler Rohrach mit einer Reihe von Bauernschaften mittleren Ranges hervor. Der sog. Wildlaner-Hof in Innerschmirn umfasste gleich ein ganzes kleines Seitental mit einer Reihe ganz ansehlicher Bauernschaften. Der sog. ehemalige Englmair-Hof und Latstättner-Hof umfassten einst die ganze untere Schmirner Leite, der Echtner-Hof und Nock-Hof die ganze obere Schmirner Leite; aus den genannten Höfen haben sich im Lauf der Zeit in der unteren Schmirner Leite 14 Bauernschaften mittleren Ranges entwickelt und in der oberen Schmirner Leite entstanden neun Bauernschaften mittleren Ranges, nebst einer Reihe von Privatwald-Parzellen, sog. Eppen-Waldungen, Wiesen und Mähdern. Der Fennhof (im Bezirk Sterzing) umfasste gleich wiederum das ganze Fenntal, welches vom Brennersee hinein in östlicher Richtung abzweigt; er erscheint nunmehr in 3 bis 4 ganz ansehnliche Höfe aufgeteilt.
Letztere Höfe wurden vielfach erst gelegentlich der Grundbuchs-Anlegungen künstlich aus Teilen der alten Höfe gebildet. Über die alten Höfe, insofern es Lehens-, Erbpacht- und Erbzinsgüter betraf, wachten hinsichtlich deren Erhaltung die Landesfürsten selbst und insofern es andere Grundgüter betraf, wachten hinsichtlich deren Erhaltung die betreffenden Grundherrn als Obereigentümer. Im Veränderungsfalle wurden außer den Grundzinsen und Zehenten auch noch andere Gebühren eingehoben und musste über diese bei Verkäufern der grundherrliche Konsens eingeholt werden. Alles das entfällt nunmehr seit der in den Jahren 1850/1851 durchgeführten Grundentlastung, der zufolge das lehensrechtliche Verhältnis aufgehoben und das Obereigentum und Nutzeigentum vereinigt wurde.
Heute überragen die geschlossenen Höfe, welche gelegentlich der Grundbuchs-Anlegungen in jeder Gemeinde in beträchtlicher Zahl gebildet wurden, hinsichtlich deren Einhaltung die Höfe-Kommissionen. Diese Einrichtung ist jedenfalls von ganz erheblicher Bedeutung, nachdem sie einerseits die Zersplitterung der nun gebildeten geschlossenen Höfe hinterhält und anderseits auf diese Weise sicher zur Erhaltung eines kräftigen Mittelstandes und zur allgemeinen Wohlfahrt des Landes beiträgt.
Quelle: Alte Höfe im Wipptal in Geschichte und Sage, Josef Gratl in: Innsbrucker Nachrichten, Dienstag den 31. Dezember 1912.