Die Hexe von Bründling
Die höchstgelegene Einschicht auf dem Ramsberg ist Bründling. Dort hauste vor ziemlich langer Zeit ein Bauer, dessen Frau eine Hexe war. Er wusste jedoch nichts davon, und sie verhielt sich lange Zeit so, dass kein Mensch etwas merkte. Nur jeden Donnerstag ging es auf Bründling ein wenig eigenartig her. Da sperrte sich die Bäuerin in ihre Kammer ein und verbot dem Bauern, ihr nachzuspionieren. Den freilich plagte die Neugier, und so wagte er es denn doch einmal, einen Blick durchs Schlüsselloch zu tun. Was er da zu sehen bekam, erschreckte ihn zutiefst. Die Frau stand vor dem Spiegel, wusch und kämmte sich, zog die schönsten Kleider an und schmierte sich eine grüne Salbe ins Gesicht. Dann nahm sie einen Besen zwischen die Beine und rief:
"Durch'n Kemach auf und nirgends un!"
Auf dem Besen flog sie sodann zum Kamin hinaus.
Der Bauer wollte sehen, wohin sich sein Weib begab, also brach er die Kammertür auf und machte alles nach, was er gesehen hatte. Auch die grüne Salbe schmierte er sich ins Gesicht, setzte sich auf den zweiten Besen und rief:
"Durch'n Kemach auf und überall un!"
Das war freilich nicht der rechte Spruch. Darum wurde er nicht nur rußig, sondern stieß an die Kaminmauer, dass ihm alle Knochen im Leib zu brechen drohten. Als er endlich auf dem Dach saß, verspürte er keine Lust mehr, der Bäuerin weiter zu folgen. Also stieg er hinab und beschloss, deren Rückkehr abzuwarten. Dann würde er Rede und Antwort fordern.
Am Freitag beim Morgengrauen lag die Bäuerin wieder in ihrem Bett und tat, als wäre nichts geschehen. Der Bauer jedoch ließ sich nicht mehr länger hinhalten und wollte wissen, was hinter ihrem nächtlichen Treiben stecke. Da wusste sie, dass er sie beobachtet hatte, und lenkte ein.
"Wenn es dich so viel wundert, dann gehst das nächste Mal mit. Darfst mir aber ja keinen heiligen Namen aussprechen, sonst ergeht es dir schlecht!"
Der Bauer versprach es, und am darauf folgenden Donnerstag begaben sie sich gemeinsam in die Kammer. Nachdem alle Vorbereitungen getroffen waren, fuhr durch den Kamin ein schwarzer Hund herab, beide setzten sich auf seinen Rücken, und schon ging es auf und davon. Nach einem Flug durch die stockdunkle Nacht gelangten sie zu einem festlich beleuchteten Schloss, aus dem tierische Laute drangen. Drinnen war die Tafel gedeckt, Hexen und Teufel schmatzten und soffen, eine Höllenmusik spielte zum Tanz auf. Unser Bäuerlein hatte in dem Wirrwarr sein Weib bald aus den Augen verloren, bekam es aber immer mehr mit der Angst zu tun und hätte was darum gegeben, wäre er daheim auf seinem Hof gewesen. Dazu plagte ihn ein unheimlicher Durst, und endlich hielt er es nicht mehr aus:
"Um Gottes Willen, gebt mir doch Wasser!", schrie er verzweifelt.
Im selben Augenblick wurde es finster um ihn herum, aller Spuk stob auseinander. Der Bauer erschrak zu Tode und wollte nur noch ins Freie, fand aber keinen Ausgang. So blieb ihm nichts anderes übrig, als den Morgen abzuwarten. Als es Tag wurde, fand er sich auf der "Pinzgerplatte" in der Gerlos. Geknickt machte er sich auf den Heimweg. Sein Weib, die Hexe, aber tauchte nicht mehr auf.
Von der Bründlinger Hexe ist eine zweite Sage bekannt. Danach soll sie in Ramsau einen Geliebten gehabt haben. Der durfte sie jeden Tag besuchen, nur nicht an Freitagen. Das Verbot machte den Burschen neugierig, er schlich sich an einem Freitag nach Bründling und schaute durchs Fenster. Da sah er seine Geliebte auf einem Geißbock sitzen. "Lass mich mit!", rief er durchs Fenster. Tatsächlich wurde er eingelassen und bekam einen zweiten Geißbock, sodass er mitreiten konnte.
Kaum war die Hexe aufgesessen, rief sie: "Schnell und nirgend un!" - schon flog der Bock mit ihr zum Kamin hinaus.
Der Bursche wollte es ihr gleichtun, war aber wohl zu aufgeregt und schrie:
"Schnell und überall un!" Also stieß der Bock überall
an, dass dem Reiter beinahe alle Knochen im Leib brachen. Er konnte aber
nicht mehr absteigen und musste auf dem Geißbock sein Leben aushauchen.
Quelle: Hifalan & Hafalan, Sagen aus dem Zillertal, Erich Hupfauf, Hall in Tirol, 2000, S. 75ff.