DER KAPELLKIRCHTAG
Etwa eine halbe Stunde oberhalb von Hart steht die Wallfahrtskirche St. Maria, genannt die Harter Kapell'. Wie diese in alter Zeit viel besuchte Wallfahrt entstanden ist, erzählt eine Votivtafel mit Bildern und der folgenden Beschriftung:
1. Gott dem Allmächtigen und Maria zu Lob und Ehr ist diese Kapelle anfänglich von unmündigen Kindern, so paarweise dahingekommen sind, geehrt worden.
2. Habens die Nachbarn demnach größer aus Holz gebaut.
3. Ist Silvester, schwer krank liegend, solches zu erweitern im Schlaf ermahnt worden, was er auch getan. (Silvester war der damalige Kapellenprobst und Schanderbauer Flörl, gestorben 1682.)
4. Habens die Nachbarn noch etwas größer gemacht.
5. Ist demnach vorhinan etwas gemauert worden, es ist also 1653
erbaut und hernach eingeweiht worden.
Detail der Votivtafel in der Wallfahrtskirche
"Maria Reinigung" am Hartberg, Zillertal
© Wolfgang
Morscher, 4. September 2004
Gesamtansicht der Votivtafel in der Wallfahrtskirche
"Maria Reinigung" am Hartberg, Zillertal
© Wolfgang
Morscher, 4. September 2004
Zweihundert Jahre später wurde die Kapelle erneuert, wobei viele der schönen Votivtafein, Opferungen und von geheilten Wallfahrern hinterlassene Krücken zugrundgegangen sind. Die Kapelle wurde dann dem Fest Mariä Reinigung geweiht, womit sich folgende Geschichte verbindet:
In alter Zeit wurde neben der Kapelle beim sogenannten Kapellbachl hin und wieder die Gottesmutter gesehen, wie sie auf einem großen, schön geformten Naturstein kniete und Windeln wusch.
Der Zugang zum Bächlein ist heute beschwerlich
© Wolfgang
Morscher, 4. September 2004
Seitdem soll das Wasser des Bächleins wundersam heilkräftig gewesen sein, besonders bei Augenleiden. Oft wurden auch Leute dabei beobachtet, wie sie sich an dem Kapellbachl wuschen oder zur Linderung eines Gebrechens Wasser daraus holten.
Eisengitter mit Holzkonstruktion an dem Kapellbachl
© Berit
Mrugalska, 4. September 2004
Eine Bäuerin wollte damals an der Stelle, die durch das Erscheinen der Gottesmutter den Leuten heilig war, eine Grotte bauen und einen Teil des Bächleins hindurchleiten lassen. Man ist aber dann doch wieder davon abgekommen, weil man fürchtete, der Besuch in der Kapelle selbst würde darunter leiden und die Gottesmutter dort mit der Zeit in Vergessenheit geraten.
Deckenfresko Mariae Reinigung von Wolfram Köberl,
1954
in der Wallfahrtskirche am Hartberg
Vgl. DEHIO-Handbuch Tirol, 1980, S. 330
© Berit
Mrugalska, 4. September 2004
Das Patroziniumsfest der Kapelle, damals "Kapellkirchtag" genannt, war jedes Mal ein großes Volksfest mit zahlreichen Besuchern. Beim Hochamt konnte die Kapelle die Andächtigen, die von nah und fern herbeiströmten, kaum fassen, und so war der Platz davor immer voll von betenden Menschen. Die Altäre trugen reichen Blumenschmuck, und "Berge" von Blumen wurden zur Weihe ans Speisgitter getragen. Burschen und Männer der Gemeinde banden den sogenannten Kirchtagsbuschen auf den Hut, die Jungfrauen trugen ein Sträußl am Mieder, und die Frauen steckten sich eine Blume hinters rechte Ohr. Es wurde kräftig gebollert, auf den Mittagstisch kamen die beliebten Kirchtagsnudeln, und am Abend zog man frohgestimmt zum Kirchtagstanz in die "Wilden".
Marienkapelle am Hartberg, Saalbau
erste urkundl. Erwähnung 1652, barocker Neubau 1671-1677, Erweiterung
1845
Vgl. DEHIO-Handbuch Tirol, 1980, S. 330
© Berit
Mrugalska, 4. September 2004
Heute heißt dieser Tag "Kapellfrauentag";
er bedeutet immer noch ein Fest, das sich sehen lassen kann. Und "Unsere
liebe Frau von der Kapell", wie sie von den Leuten in Bedrängnis
angerufen wird, breitet immer noch ihren Schutzmantel über die zahlreichen
Verehrer.
Quelle: Hifalan & Hafalan, Sagen aus dem Zillertal, Erich Hupfauf, Hall in Tirol, 2000, S. 33