DIE WILDE DIRNE

Bei einem Bauern, der unferne Landeck saß, diente eine wilde Dirne. Seitdem die Magd auf dem Hofe war, ruhte der Segen auf dem Hause. Das Vieh blieb gesund, die Kühe gaben viel Milch und die Hennen legten oft und große Eier. Das Getreide stand immer schön und weder Wind noch Wetter schadete demselben. Wenn die Zeit des Schnittes oder des Mahdes bevorstand, sagte die Wilde, wann man das Korn schneiden oder das Gras mähen solle, und weil man ihrem Rathe folgte, brachte man gewiß immer die Ernte glücklich unter Dach. So gieng es viele Jahre hindurch und der Bauer dachte sich oft, diese Dirne ist mehr als Goldes werth. Als eines Tages der Bauer auf dem Felde pflügte, rief plötzlich ein Wilder von den Schrofen herunter:


"Jochtrager, Stiertreiber!
Sag zur Stutzamutza,
Die Rauchrinda ist todt."


Der Pflügende wußte nicht, was der wilde Mann mit diesem Ruf wollte, und arbeitete tüchtig vorwärts. Als er nach gethaner Arbeit nach Hause gekehrt war und beim Mittagessen saß, erzählte er vom Rufe des wilden Mannes. Da fieng die wilde Magd an zu weinen und sprach: "Jetzt muß ich gehen, denn es ist meine Mutter gestorben." - Der Bauer bat sie, noch länger zu bleiben, jedoch die Wilde ließ sich nicht zurückhalten. Wie er sah, daß ihr Entschluß gefaßt war, sagte der Bauer: "So sag' mir doch, was muß ich thun, daß ich auch in Zukunft so viel Glück mit der Milch habe, wie während deiner Dienstzeit." - Darauf erwiderte die Dirne: "Wenn du mit der Wirthschaft willst glücklich sein, so mußt du den haarigen Wurm lieb haben und gut halten." Mit diesen Worten gieng sie weg und stieg in die Schrofen hinauf. Der Bauer folgte aber ihrem Rathe, hielt die schwarze Katze, - denn diese hatte sie unter dem haarigen Wurm verstanden, - gut und hatte immer Glück und Segen. (Grins.)


Quelle: Sagen aus Tirol, Gesammelt und herausgegeben von Ignaz V. Zingerle, Innsbruck 1891, Nr. 71, Seite 47