Der Geist auf dem Arlberge
In den Gebäulichkeiten auf dem Arlberge ward öfters ein Mönch
gesehen, der mit seinem silberweißen Barte, dem härenen Gewande
und der Mantelkappe allen eine gewisse Scheu einflößte. Er
geberdete [gebärdete] sich, als wäre er ein regelrechter Insasse
des Wirthshauses, gieng aus und ein wie andere, war aber stets in sich
gekehrt und schien vom Getriebe der Welt wenig beansprucht zu werden,
ohne jedoch abstoßend oder mürrisch zu sein. Wenn er auch jeglichen
Winkel des Hauses als sein eigen betrachtete, so wohnte er doch vorzugsweise
im Keller, wo er am ehesten zu treffen war. Hatten die Dienstboten die
Hitze und Last des Tages getragen, so versammelten sie sich in der Wirthsstube
zum Abendessen und weilten hierauf noch lange Zeit unter Geplauder gemüthlich
beisammen, indem die Dirnen das Rädchen drehten und die Knechte ihre
müden Glieder auf den Bänken ausstreckten oder ein Pfeifchen
rauchend sich zum Schlafe einwiegten. Allabendlich erschien auch der Mönch
und nahm schweigsam auf der Ofenbank neben der Thüre Platz, War dieser
Posten bei seiner Ankunft bereits besetzt, so wies er den Inhaber von
dannen, und wenn die Entfernung nicht willig erfolgte, so riß er
ihn herunter, daß er auf den Boden fiel. Das passirte [passierte]
jedem, der, mit dem obwaltenden Verhältnisse unbekannt, sich diese
Ruhestätte wählte. Unter den zahlreichen Gästen, die auf
dem Arlberge einsprachen, befand sich auch einmal ein Student, der nach
genommenem Abendbissen auf jene verhängnisvolle Bank sich verlor,
um seinem von der Reise ermatteten Körper Ruhe zu gönnen. Da
öffnete sich still und ohne Knarren die Thüre und der Mönch
trat ein. Er wandte seine Blicke auf seinen Sitz und bedeutete dem Ruhenden
mit einem Fingerzeige, daß er sich von hinnen heben solle. Der Betroffene
machte große Augen und wollte sich hiezu auf keine Weise verstehen.
Kurz und gut - er war der Einzige, den der Mönch nicht von der Stelle
brachte. - Eines abends saßen drei muntere Burschen, darunter ein
krummer, am Spieltische und waren lustig und froher Dinge. Auf einmal
geht die Thüre auf, wie von einem Windhauche geschoben, doch ist
niemand, der eintritt. Der Krumme hinkt vom Stuhle und schließt
gleichgiltig [gleichgültig] wieder zu. So gieng es drei Mal. Als
zum dritten Male die Stube sich öffnete, wankt der Krumme bedachtsam
zur Thüre und schlägt sie mit zorniger Miene so gewaltig zu,
daß es durch die Gänge wiederhallte und untersuchte noch recht
fleißig, ob die Schnalle wohl gehörig einliege. - Sie gieng
nicht mehr auf. Späterhin blieb auch der Mönch aus. (Stanzerthal.)
Quelle: Sagen aus Tirol, Gesammelt und herausgegeben von Ignaz V. Zingerle, Innsbruck 1891, Nr. 461, Seite 260f.