Der Geist am Fallbach
Im Herrenanger zu Absam stand einstens ein schönes Haus, in dem ein Metzger wohnte. Dieser war ein gar übermüthiger Mann, spottete über Gott und Teufel und trat die kirchlichen Satzungen mit Füßen. So ließ er sich auch am Charfreitage [Karfreitag], an dem die ganze Christenheit fastet, eine Wurst sieden. Vergebens warnte ihn sein Weib und sein Gesinde. Er nahm die Wurst und trug sie in die Stube, wo er sie zu Ärgerniß aller Anwesenden verzehren wollte. Aber siehe, als er sie zerschneiden wollte, schien sie lebendig zu werden und bewegte sich über den Tisch hin. Da war der Metzger zornig und schrie: "Ich will dich essen, du Hexenvieh, und wenn ich auch am ersten Bissen ersticken sollte." Er nahm nun die Wurst, biß darein und erstickte wirklich am ersten Bissen. Seine Leiche wurde auf der Stelle rabenschwarz, und seitdem polterte es im Hause allnächtlich. Da wandten sich die Haussaßen an einen frommen Priester, der den unseligen Geist an den Fallbach, der, eine Stunde von Absam entfernt, im Gnadenwalde fließt, bannte. Seitdem war im Haufe Ruhe, der Geist geht aber am Fallbache um. Dort sieht man ihn oft, besonders an Vorabenden von hohen Festen und zu Quatemberzeiten. Er steht dann mit ausgespreizten Beinen ob dem Bache so, daß das Wasser zwischen denselben durchrinnt. Er trägt einen altfränkischen Rock und hat den Hut so tief in's Gesicht gedrückt, daß man von seinem Kopfe nichts sieht. Zum letzten Male sah ihn an einem St. Johannisabende (23. Juni) ein gewisser Hornsteiner, der darüber so sehr erschrack [erschrak], daß er dem Siechthume anheimfiel und bald starb.
Andere erzählen: Im Gnadenwald ist ein Wasserfall, (Fallbach) bei
dem es nicht geheuer ist. Viele Geister sind hinein gebannt, unter andern
ein Geistlicher, weil er an einem Freitag eine Wurst gegessen. (Bei Hall.)
Quelle: Sagen aus Tirol, Gesammelt und herausgegeben von Ignaz V. Zingerle, Innsbruck 1891, Nr. 472, Seite 265f.