Die Geldhüter
Im Thale Brandenberg bei Rattenberg wird ein hoher, scharfer Bergkegel vom Volke gewöhnlich die reiche Spitze genannt. Im Thalgrund am Fuße derselben liegt eine Alm, wo das Vieh oft tief in den Winter hinein mit dem würzigen Wiesenheu gefüttert wird. Daselbst kam einmal am Christabend ein Mann im dichten Winteranzug und mit gewaltigem Bergstock zum Senner und bat, er möchte in der kommenden Nacht sein Stübelein heizen, so heiß als möglich, es werde ihn nicht gereuen. Der Senner gab sein Wort, das Verlangte zu thun. Es kam ihm zwar die Sache etwas wunderlich vor; aber er sprach sich also Muth ein:
"Fürchtest sonst keinen Landauf, Landab -
werden dir diese heut auch nicht den Kopf abreißen."
Nun schürte er ein knorriges Scheit um das andere in den großmächtigen
Kachelofen. Die Stube wurde nach und nach derart heiß, daß
es der Senner fast gar nicht mehr aushalten konnte. Seine Hand war triefnaß,
so trieb es ihm den Schweiß aus dem Leib. Da kroch er hinter den
Tisch in die Ecke unter die Bank. Hier war das kühlste Plätzchen
und dann konnte er noch von diesem Winkel aus unbemerkt sehen, was da
kommen werde. Wie es gegen Mitternacht gieng, hörte er plötzlich
Schritte näher und näher kommen. Vor der Hütte wurde mit
kräftigem Stampfen der Schnee von den Füßen geschüttelt.
Darauf schritten sieben Männer schweigend zur Thüre hinein,
Ihre Kleider und Schuhe waren steingefroren, sie verbreiteten gleich beim
Eintreten Kälte, daß der Senner unter der Bank sich die Hände
rieb. Nachdem sie eine Weile dicht um den Ofen gestanden hatten, ohne
ein Wort zu verlieren, verließen sie wieder stumm und ernst die
Stube. Der Senner kroch schnell aus dem Versteck hervor. Als sein Blick
auf den Tisch fiel, rief er aus voller Brust: "Juchhe!" Sein
Hut war mit funkelnden Zwanzigern gefüllt bis zum Rand. Allein für
den Augenblick hatte er nicht Lust, sie zu zählen. Er gieng wieder
neuerdings Scheiter in den Ofen zu werfen, damit das ausgekältete
Gemach wieder behaglich erwärmt würde. Die sonderbaren Männer
sind niemand anders gewesen, als die Geldhüter hoch oben an der reichen
Spitze. Daselbst sind unerschöpfliche Schätze; wer bei seinen
Lebzeiten davon etwas nimmt, der muß nach dem Tode die kalte Pein
leidend dabei Wache halten, bis er von einen Schicksalsgenossen abgelöst
wird. Sieben haben diesen Dienst immer zu versehen. Viel Ähnliches
erzählt man von der reichen Spitze in der Gerlos. (Beilage zur Donau
1855 Nr. 392.)
Quelle: Sagen aus Tirol, Gesammelt und herausgegeben von Ignaz V. Zingerle, Innsbruck 1891, Nr. 504, Seite 281f.