Das Gnadenbild zu Inzing
Als im Haufe des Leopold Gaßler eine Weibsperson eine Kammer ausbohrte, hörte sie ein Weinen hinter einer Truhe, sah nach und fand dort ein Muttergottesbild, welches weinte. Leopold trocknete mit einem Tüchlein die Thränen des Bildes, die aber immer wieder kamen, so daß das Tüchlein ganz naß wurde. Er hängte das gereinigte Bild an die Wand und legte das nasse Tüchlein in einen Kasten. Als er es wiederum herausholen wollte, war es nicht mehr zu finden. Das Bild an der Wand aber weinte auch hier noch öfter; die Nachbarsleute kamen herbei und man zeigte das Wunder den geistlichen und weltlichen Obrigkeiten, - es wurde untersucht und als wahr befunden. Eine Besessene, welche um die Wege war, erklärte, dies Bild habe nicht die Bestimmung, in Inzing zu bleiben, sondern müsse nach Kaltenbrunn gebracht werden. Man that es. Allein der Geistlichkeit zu Kaltenbrunn schien es nicht glaublich, daß dies Bild hieher [hierher] gehöre, die Besessene aber, die man auch nach Kaltenbrunn geführt hatte, wiederholte ihre Behauptung und fügte bei, wenn man das Bild nach Inzing zurückbringen wollte, werde es so schwer werden, daß man mit ihm nicht mehr weiter kommen könne. Man beschloß dennoch, den Versuch zu machen, und er gelang Das Bild wurde ohne Anstand zurückgetragen, in allen Gemeinden ward es mit größter Feierlichkeit empfangen und wieder in Inzing aufgestellt, wo alsbald eine Kapelle für dasselbe erbaut worden ist.
Eine andere Version meldet, das Bild sei von selbst nach Inzing zurückgekehrt
und früher dort angekommen als die Träger, welche es nach Kaltenbrunn
überbracht hatten.
(Inzing. Tinkhausers Beschreibung der Diöcese Brixen III, 43.)
Quelle: Sagen aus Tirol, Gesammelt und herausgegeben von Ignaz V. Zingerle, Innsbruck 1891, Nr. 865, Seite 503f.