Das Marienbild zu Kaltenbrunn
Schon lange vor Erbauung der alten Kapelle stand an diesem Orte ein Marienbild auf einem Stein, auf welchem später der Altar in der Kapelle errichtet wurde. Einst kam ein fremder Pilger, der beim "alten Terling" im Kaunserthale seine Einkehr nahm und acht Tage dort blieb. Derselbe gieng jeden Tag zu diesem hochverehrten Muttergottesbilde, um zu beten. Dies tadelte der Wirth und sagte, er solle lieber nach Kauns hinausgehen, um dort in der Kirche zu beten. Darauf antwortete der Fremde:
"Dieser Ort ist ein heiliger Ort, von dieser Stätte geht eine Leiter hinauf in den Himmel und an diesem Orte werden in Zukunft viele hl. Messen gelesen, viele Kirchfahrten daher gemacht werden und viele Wunderzeichen hier geschehen."
Einige Zeit darauf kam ein frommer und gelehrter Mann, Namens Bruder Johannes Markarius, nach Kaltenbrunn, hielt sich hier längere Zeit auf und betete sehr oft vor dem Muttergottesbilde. Endlich baute er über dasselbe eine Kapelle und eine Einsiedelei aus Holz. Der fromme Bruder sagte auch, daß einer kommen werde, welcher viel Gutes hieher [hierher] stiften werde. Es werde alda ein schönes Gotteshaus der göttlichen Mutter zu Ehren erbaut werden. Später kam ein vornehmer Edelmann, genannt der Schenkenberger, und ließ anstatt der hölzernen Kapelle ein Kirchlein aus Mauerwerk errichten. Er blieb zu Kaltenbrunn, starb da nach einem langen, strengen Büßerleben als Einsiedler und wurde zu Kauns begraben. Von ihm wird erzählt, er habe zu Mailand bei einem Turnier einen Edelmann umgebracht und außerdem viele andere Unthaten begangen. Später empfand er große Reue über sein sündhaftes Leben, vertraute auf die Fürbitte der Gottesmutter und bat sie inbrünstig, ihm einen Ort anzuweisen, wo er seine schweren Sünden abbüßen und sein Leben in Gottes Gnade beschließen könnte. Da hatte er bald nachts eine Erscheinung und es ward ihm gesagt, er solle in das Innthal fahren und nach einem Orte, der Kaltenbrunn heißt, fragen. Hätte er diesen Ort gefunden, solle er dort für seine Sünde Buße thun.
Ohne Verzug machte sich der Edelmann auf den Weg, kam nach Prutz, nahm
in des alten Hubers Haus seine Einkehr, und als er auf seine Fragen gehört,
daß Kaltenbrunn nicht weit entfernt sei, verkaufte er alle seine
Pferde, entließ seine Diener bis auf einen, Namens Urban, und zog
dann nach Kaltenbrunn, wo er um das Jahr 1300 sein Leben fromm und gottselig
beschloß. Seine Ankunft in Kaltenbrunn soll im Jahre 1272 stattgefunden
haben.
(Beschreibung der Diöcese Brixen 4, 383.)
Quelle: Sagen aus Tirol, Gesammelt und herausgegeben von Ignaz V. Zingerle, Innsbruck 1891, Nr. 874, Seite 507ff.