Das Mädl, so einen Schatz sieht
Wenn man von Alpach über's Hösl nach Thierbach geht, so kommt
man an zwei Häusern vorbei, die "beim Thaler" heißen.
Da lebte vor langer Zeit einmal ein Bäuerlein, das hatte jeden Winter
viel Vieh, doch nur einen kleinen Heustock dazu und so kam's halt, daß
es alleweile hart wartete, bis der Frühling kam und auf der Sonnenseite
des nahen Berges ein Flecklein aper wurde. Moidal, das älteste Dienl,
war dann auch immer recht froh, wenn sie mit dem Kleinvieh ausfahren konnte,
denn sie war viel lieber unter Gottes freiem Himmel im hellen Sonnenscheine,
als in der dumpfen Stube am Spinnrad. Einmal ließen sich die Geisen
[Geißen] zu oberst bei der blauen Wand an einem sonnigen Plätzlein
das junge Gras besonders schmecken und dem Dienl war auch katzenwohl.
Da hörte sie plötzlich hinter sich ein Geräusch. Sie schaute
erschrocken um und sah in der Felswand eine Thür, die war halb offen
und ein Männlein mit langem, langem schneeweißen Barte guckte
heraus Drinnen glitzerte und funkelte es wie der helllichte Sonnenschein,
denn an den Wänden herum lagen Goldlaibe, einer über dem andern,
und vom Gewölbe hiengen Goldzirbel herab. Das Mannlein winkte dem
Mädchen hineinzugehen. Dieses jedoch eilte heim und sagte alles ihrem
Vater, und wie sie miteinander zurückkamen, fanden sie nichts mehr
als die glatte Wand. Der Alte erinnerte sich nun, daß er auch einmal
als Geisbub an dieser Stelle eine goldene Blume gesehen habe, die so groß
war als ein Hut. Doch wie er sie abends beim Heimfahren mitnehmen wollte,
war sie nirgends mehr zu finden. (Alpach. P. Moser.)
Quelle: Sagen aus Tirol, Gesammelt und herausgegeben von Ignaz V. Zingerle, Innsbruck 1891, Nr. 603, Seite 340.