Der Schatz auf Arlen
Eine kleine Strecke ober der alten Poststation Nasserein im Stanzerthale liegen auf einem Buschhügel die wenigen Trümmer des alten Schlosses Arlen. Im Schloßhofe liegt ein großer Schatz verborgen, welchen ein alter Schloßbesitzer bewachen muß. Wenn der Schatz blüht, hüpfen blaue Lichtlein im Gemäuer herum. Am Fuße des Hügels steht ein ansehnlicher Bauernhof. Auf der Wiese vor dem Hause saß einmal der kleine Knabe und aß Milch und Brocken, Da kam ein großer Wurm aus dem Schlosse herabgekrochen, näherte sich dem Kinde und schlürfte Milch aus der Schüssel. Als der Knabe merkte, daß der Wurm nur die lautere Milch nehme, sprach er:
"Du mußt nicht die Milch allein lappeln, du mußt Brocken auch fressen."
Als die Baurin dies hörte, gieng sie schauen, wer mit dem Kleinen rede. Zu ihrem größten Schrecken sah sie den mächtigen Wurm, der sich augenblicklich flüchtete, nur das konnte sie bemerken, daß er ein goldenes Schlüsselchen au einem Bande um den Hals trug. - Die Bäurin machte kein Hehl aus der Sache, und die Leute redeten nur mehr von dem Wurme und Schatze. Da beschlossen einige Burschen den Schatz zu heben, versprachen sich, keine Silbe zu verlieren, und giengen mit Pickel und Schaufel in's Schloß hinauf. Sie arbeiteten und gruben ohne ein Wort zu sprechen, bis sie ein schwarzes Kästchen fanden. Das suchten sie an Stricken heraufzuziehen. Es war endlich langsam und mit vieler Mühe bis zum Saum der Grube herausgebracht, als einer aufschrie:
"Zieht geschwind, sonst fallt's!"
Da war alles wie zerronnen und die Burschen mußten sich gleich
aus dem Staube machen, denn es erschien der Schatzwächter und seine
Augen funkelten vor Zorn. (Stanzerthal.)
Quelle: Sagen aus Tirol, Gesammelt und herausgegeben von Ignaz V. Zingerle, Innsbruck 1891, Nr. 564, Seite 324.