Die Stadt Seis
In alter Zeit stund an der Stelle des Dorfes Seis und bis oberhalb St.
Valentin eine große Stadt. Einmal kam ein alter, armer Mann und
suchte eine Herberge, aber kein mitleidig Herz öffnete ihm eine Thüre
[Türe]. Da zog er weiter und sprach oberhalb St. Valentin in einem
Bauernhause zu und ließ sich eine "Kelle" mit Wasser geben.
Dies schüttete er zum Fenster hinaus und im Nu war die große,
stolze Stadt überschwemmt. In der Kirche St. Virgil* gebot der Heilige
dieses Namens mit seiner "Krücke" (Hirtenstab) dem daherrasenden
Schutte und Gerölle Halt, und das wilde Element gehorchte ihm. So
blieb die Kirche St. Virgil stehen - Das erste Amt am Ostersonntage wird
noch in der Filialkirche zu St. Valentin in Seis gehalten, weil sie an
der Stelle der Pfarrkirche der Seiser Stadt gestanden haben soll. (Castelrut.
Prof. Th. Wieser.)
* St. Vigil!
Quelle: Sagen aus Tirol, Gesammelt und herausgegeben von Ignaz V. Zingerle, Innsbruck 1891, Nr. 631, S. 357f