Die silberne Lampe
Heilige lassen sich weder schimpfen noch spotten, sagt das Volk. Dies bezeugt auch die silberne Ampel in der Wallfahrtskirche zu Marienthal, die kein Licht duldet. Man mag den Docht anzünden, so oft man will, immer lischt das Licht sogleich aus. Davon wird erzählt: Vor vielen Jahren hatte eine reiche Frau ein stockblindes Mädchen. Da aller Doktoren Rath vergebens war, nahm die Frau zu der schmerzhaften Muttergottes die Zuflucht. Ehe sie aber die Wallfahrt antrat, sandte sie die silberne Lampe dahin, die vor dem Gnadenbilde aufgehängt und angezündet wurde. Einige Tage später kam die Frau mit dem Mädchen in die Kirche. Dort fiel es wie Schuppen von den Augen des blinden Kindes und es rief:
"Sieh', wie schön die Muttergottes ist!"
Die Mutter aber sprach, anstatt Gott zu danken, die frevelhaften Worte:
"Da schau' man, läßt sich die Muttergottes abschmieren!" -
Und sieh', wieder verdunkelten sich die Augen des armen Kindes, das Licht
der Lampe losch aus und läßt sich nicht mehr anzünden.
(Bei Rattenberg.)
Quelle: Sagen aus Tirol, Gesammelt
und herausgegeben von Ignaz V. Zingerle, Innsbruck 1891, Nr. 830, Seite
486f.