Der Geist auf Sonders
Auf der Alm Sonders war noch in später stürmischer Nacht ein Senner mit dem Einsalzen der Käse beschäftigt. Da trat plötzlich ein Mann in die Hütte und fetzte sich an's Feuer. Er verlor keine Silbe, geschweige ein Wort und saß stille wie ein Stock. Den Senner überfiel ein Grauen, wie er den unheimlichen Mann gesehen, und er getraute sich nicht mehr dem Feuer näher zu kommen. Er vollendete seine Arbeit, warf von Ferne noch einige Scheiter in's Feuer und gieng zu Bette. Er konnte aber nicht schlafen und hatte feine Augen immer auf den Fremden gerichtet, der sich erst vor Tagesanbruch wieder entfernte. Der Fremde war aber der Geist. Das Holz, das ihm der Senner herwärts zugeworfen, hatte er verbrannt, selbst hatte er aber kein Stücklein genommen.
Ein anderes Mal war der Senne wieder allein in einer wilden, stürmischen
Nacht in seiner Sennhütte und besorgte seine Geschäfte.
Da kam der Geist wieder und setzte sich an das Feuer und sprach nicht
und regte sich nicht. Der Senner war diesmal nicht mehr so erschrocken,
gieng zu ihm an's Feuer und gab dem Geiste einen Arm voll Holz, das dieser
gerne annahm. Beide verloren jedoch kein Wort. Der Senner weckte auch
den Beisenner, um ihm den Geist zu zeigen, und dann gieng er nach vollbrachter
Arbeit in sein Bett. Morgens war der Geist wieder verschwunden und das
Holz bis auf das letzte Trumm verbrannt.
Nach einiger Zeit kam der Senner nach Serfaus und kehrte dort bei dem
Geistlichen an. Diesem erzählte er von den zwei Besuchen des Geistes
und fragte ihn, was er bei einem dritten allenfallsigen Besuche thun sollte.
Da gab ihm der Geistliche Weis' und Lehr' und lehrte ihn das, was er zu
sagen hätte. Der Senner ermerkte sich aber das Gesagte nicht und
bat den Priester, er möchte ihm die Sprüche doch ausschreiben.
Der Geistliche willfuhr ihm und zeichnete ihm alles genau auf. Der Senner
gieng nun wieder auf die Alm und lernte die Sprüche genau auswendig.
Da kam wieder einmal eine recht wilde, wilde Nacht und der Senner saß
noch bei seiner Arbeit. Da erschien wieder der Geist, setzte sich zum
Feuer und regte und rührte sich nicht. Der Senner verrichtete seine
Arbeit, gab dem "Putz" Holz zum Brennen, nahm dann ein Licht
und den Zettel, auf dem die heiligen Worte geschrieben waren. Als er aber
beginnen wollte, die Sprüche zu lesen, da packte ihn ein Graus, daß
er kein Wort mehr sah und ihm das Weiterlesen unmöglich wurde. Er
mußte sich zu Bette legen, ohne den Geist angesprochen zu haben.
Kaum war er aber im Bette, so dachte er sich: "Jetzt hätte ich
Muth ihn anzusprechen und könnte es wieder auswendig. Ich stehe noch
einmal auf und vielleicht kann ich ihn erlösen." Er stand nun
auf, zündete ein Licht an und wollte anfangen zu lesen. Doch er konnte
nicht beginnen. Denn ihm war die Zunge wie gebunden, ein eiskaltes Grauen
faßte ihn und er muhte sich wieder unverrichteter Dinge zu Bette
legen. Der Geist saß aber am Herde, so lange das Holz brannte. Als
das Feuer auslöschte und der Tag sich nahte, gieng er aus der Hütte
weg und erschien nie wieder. (Patznaun.)
Quelle: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Tirol, Gesammelt und herausgegeben von Ignaz Vinzenz Zingerle, Innsbruck 1891, Nr. 395, Seite 229f.