Trafoi
Südwestlich vom Dörflein Trafoi steht in großartiger Bergeinsamkeit ein vielbesuchtes Wallfahrtskirchlein. Neben demselben ist eine alte Einsiedlerhütte, in deren Nähe drei Statuen den Heiland, die Gottesmutter und den hl. Johannes Ev. darstellen. Jede derselben hat eine Eisenröhre an der Brust, aus der frisches Wasser quillt. Von diesen drei Quellen, die heilsam sein sollen, heißt die Wallfahrt zu den heiligen drei Brunnen und das Tal Trafoi. (ad tres fontes.) Diese Andachtsstätte ist uralt. Davon wird auch erzählt:
Zur Zeit, als beim Wallfahrtskirchlein am Fuße des Ortlers ein Einsiedler lebte, hörte er eines Tages sich von Maria beim Namen rufen, die ihm den Auftrag gab, das Kirchlein zu sperren und die Schlüssel zu sich zu nehmen, denn es werden Räuber kommen. Der Einsiedler gehorchte; die Räuber kamen, waren aber durchaus nicht im Stande das Kirchlein zu öffnen, sondern mußten unverrichteter Sache wieder abziehen.
Ein Bauer derselben Umgegend hörte immer an den Sonn- und Festabenden
im Thurme des Kirchleins Feierabend lauten, er wußte aber, daß
kein Mensch dort sei; sobald er dann das Lauten hörte, stellte er
ohne Verzug jegliche Arbeit ein. Einmal heimste er Heu ein, und wie es
wieder Feierabend läutete, sagte er zu seinem Gesinde: "Wir
müssen schon daran sein, das Heu heute noch vollends einzubringen."
Die Arbeit wurde also fortgesetzt und beendet - aber damit nahm auch das
wunderbare Feierabend-Läuten ein Ende; es wurde hinfort nie mehr
gehört.
Bekanntlich wird das Gnadenbild für die Winterzeit in die Expositurkirche
herausgetragen und für die Sommerzeit dem Wallfahrtskirchlein wieder
zurückgestellt. Nun hatten es aber die Bewohner des Dörfchens
Trafoi öfters gerne für immer in ihrer Kirche behalten. Sobald
aber die Zeit der Übertragung war, und sie das Bild nicht zurücklieferten,
rückte der Ferner in drohender Stellung vor, so daß sie sich,
der Gefahr zu entgehen, genöthiget fanden, das Gnadenbild ohne Säumen
wieder zurückzutragen. Nicht ohne Ursache befindet sich deshalb im
Kirchlein die Inschrift:
"Der Elemente Macht und Wuth
Mariä Schutz einschränken thut,"
(Vinstgau. [Vinschgau] Alois Zingerle.)
Quelle: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Tirol, Gesammelt und herausgegeben von Ignaz Vinzenz Zingerle, Innsbruck 1891, Nr. 256, Seite 156 - 157.