Die christlichen Glaubensboten in Vorarlberg
Von der ersten Welle der Christianisierung, die schon sehr früh vom Mittelmeer aus über die Alpen zu den romanischen Vätern gekommen war, wissen wir nur wenig. Aus der zweiten vom Atlantischen Ozean stammenden Bewegung, die viel später einsetzte und vornehmlich den germanischen Volksteilen des Landes zugute kam, sind noch mehrfach legendarische Ueberlieferungen bekannt.
Sobald die Wanderbewegung der Iren um die Wende des 5. und 6. Jahrhunderts größeren Umfang angenommen hatte, finden wir die sogenannten Schottenmönche auch in unserer Gegend, wohin sie sich wohl durch alte Bande des Blutes und der Sprache gezogen fühlten.
Die romanisierten Bewohner Rätiens waren übrigens damals schon für das Christentum gewonnen, was wohl ein weiterer Anziehungsgrund für die irischen Pilger gewesen sein mag, da sie nicht allein Bekehrungseifer, sondern vor allem soziale und politische Verhältnisse ihrer Heimat zur Wanderschaft bewogen halten. Da einzelne Klöster ihren Stiftern eine möglichst verdienstvolle Wirksamkeit zuschreiben wollten, haben sich die Klosterchronisten bemüht, ihren Gründern einen recht vornehmen Platz unter den Glaubensboten einer Gegend zuzuweisen.
Auch die Bekehrungstätigkeit von Columban und Gallus war nicht sehr bedeutend in unserem Lande, das diese Männer wohl nur aufgesucht hatten, um hier nach der aufreibenden Tätigkeit ihres früheren Lebens ein beschauliches Dasein zu führen.
Immerhin gleicht ihr Erscheinen an den Gestaden des Bodensees einem hellen Lichtstrahl, der zu Beginn des 7. Jahrhunderts für einen Augenblick die geschichtliche Finsternis verscheuchte, die sich in hundertjähriger Nacht über die Ruinen des alten Brigantium ausgebreitet hatte.
Um 535 in der Nähe von Dublin geboren, war Columban oder Columba schon früh in das Kloster Banchor (bänger) in der Nähe von Belfast eingetreten, wo Abt Comgall die Mönche in strenger Zucht heranbildete. Als gefeierter Lehrer verließ Columba 589 seine Heimat und begab sich nach der Überlieferung mit 12 Gefährten auf dem alten Handelsweg nach Frankreich, wo er mehrere Klöster gründete, unter denen das später berühmt gewordene Luxeuil (Lüksöi) am Südabhang der Vogesen hervorragte. Aber bald geriet Cotumban Zwiespalt mit dem Frankenkönig Theoderich, der in unerlaubter Ehe lebte.
Als dem Iren des Königs Kinder vorgeführt wurden, segnete er sie nicht, sondern er sprach die drohende Prophezeihung aus: „Nie werden sie zur Herrschaft gelangen!" „Gehe hin, woher du gekommen bist!" erwiderte nun Theoderich und ließ den freimütigen Mönch durch Bewaffnete in ein Schiff bringen, das ihn in seine Heimat führen sollte. Aber ein Meeressturm warf das Fahrzeug an Neustriens Strand und der Verfolgte begab sich zum anderen König nach Austrasien.
Columba suchte sich vor weiteren Nachstellungen seines Feindes durch die Flucht nach Italien zu entziehen. Da ihn aber Theodebert, der König des ostfränkischen Reiches, gebeten hatte, den Alemannen das Christentum zu predigen, lieh er sich zuerst an den nördlichen Ufern des Züricher Sees nieder. Als sich jedoch die dortigen Heiden nicht bekehren wollten, da ihre alten Götter sie mit Regen und Wärme wohl versehen hätten, zog Columban 611 mit seinen Gefährten nach Arbon und eröffnete dort dem Priester Willimar den Wunsch, am Bodensee Aufenthalt zu nehmen. Dieser machte nun seine Gäste mit folgenden Worten auf die Gegend von Bregenz aufmerksam: „Es findet sich ein verödeter Ort, der die Spuren alter Gebäude unter Trümmern bewahrt, wo das Erdreich fett und zur Hervorbringung von Früchten geeignet ist. Hohe Berge stehen im Halbkreis, eine öde Wüste erhebt sich über der Stadt. Die Ebene ist fruchtbar, wer hier Arbeit sucht, dem wird die Nahrung nicht versagt". (Walafrid, Vita St. Galli.)
Columban bestieg nun alsbald ein Schifflein und fuhr mit seinem Gefährten Gall oder Gallus und dem Diakon seines Gastfreundes nach der Bucht von Bregenz und, da ihm der Ort gefiel, folgten auch die andern Begleiter bald nach.
In der Umgebung von Brigantium lebte damals eine deutsche und romanische Bevölkerung, die noch größtenteils heidnisch war und sich des christlichen Aurelia Kirchleins bemächtigt hatte, um darin drei vergoldete Erzbilder, die sie wohl in den Ruinen der Römerstadt gefunden hatten, zu verehren.
Bald nach der Ankunft der Fremdlinge feierten die Heiden ein großes Götterfest. In der Mitte des Kirchleins stand ein Opferkessel mit Bier, das die Alemannen den Göttern darbringen, d. h. ihnen zu Ehren trinken wollten.
Gallus, der die Sprache des Landes verstand, suchte das Volk von der Torheit seiner Gesinnung zu überzeugen und es zum Christentum zu bekehren. Er belehrte die Heiden und auf die königliche Gunst gestützt, wagten die Missionäre sogar die Götterbilder vor aller Augen zu zertrümmern und in den Abgrund des Sees zu schleudern. Das Kirchlein aber wurde wieder für den christlichen Gottesdienst geweiht.
Die romanische Bevölkerung, welcher die christliche Lehre noch nicht ganz entschwunden sein mochte, schloß sich den Missionären bald an, die unter Leitung ihres Meisters eine klösterliche Genossenschaft von etwa 10 Personen bildeten, unter denen Eustasius, Chagnoald, Sigibert, Attala nebst Columban und Gallus mit Namen bekannt sind.
Diese erste Mönchsniederlassung in unserem Lande war wohl am Gallenstein, in dessen Nähe noch heute der überhängende Fels emporragt, unter dem sich Columban befand, als ihm nach der Sage ein Bär die Früchte des Waldes streitig machte.
Später erhob sich hier eine Kapelle, und die Pfarrkirche, die wohl an Stelle des Aureliakirchleins erbaut ward, ist schon seit Jahrhunderten dem hl. Gallus geweiht. Eine kleine Blechglocke irischer Form war lange Zeit in dieser Kirche aufbewahrt und wird von der Ueberlieferung Columban zugeschrieben. So innig haftet die Erinnerung an den Städten, die jene irischen Pilger vor mehr als einem send betreten haben.
Da die greisen Mönche am Bodensee die erhoffte nicht fanden, um ihr unstätes [unstetes] Leben in beschaulicher Einsamkeit beschließen zu können und besonders, weil unterdessen der feindliche König die Herrschaft an sich gerissen hatte, griff der 77jährige Columban den Plan, nach Italien zu ziehen, wieder auf. Nur Gallus, selbst schon bald 70 Jahre alt, blieb trotz der leisen Vorwürfe seines Abtes, der den alten Gefährten auch jetzt wieder gerne zum Begleiter gehabt hätte, unter dem Vorwande der Kränklichkeit zurück.
„Wir fanden hier ein goldenes Gefäß, aber es war mit giftigen Schlangen gefüllt!" meinte Columban, als er mit den übrigen Gefährten den Staub Brigantiums von den Füßen schüttelte und nach Italien zog. Der Groll des Greises ist auch verständlich, denn nicht viel Freude hatte den fremden Siedlern ein dreijähriger Aufenthalt am Bodensee gebracht. Schon bald nach ihrer Ankunft waren sie in große Not geraten. Scharen von Wandervögeln, die sich, von ihrem weiten Fluge ermüdet, leicht fangen ließen, halfen über den ersten Mangel. In der Folge verlegte sich dann Gallus auf den Fischfang und der Bischof von Konstanz half den Mönchen mit Getreide aus. Später wurde die Kolonie durch den Betrieb einer kleinen Landwirtschaft notdürftig mit Fleisch und Milch versorgt. Ab und zu erlegten die Mönche dann auch noch ein Stück Wild.
Die Mehrheit des Volkes blieb den Missionaren fremd. Einst hatte man ihnen eine Kuh geraubt, als aber die Brüder den Dieben nacheilten, ward einer der Mönche sogar getötet.
Bei Herzog Gunzo, der in der Legende von Columban und Gallus auftaucht, wurden die Missionäre wegen Rodung des Waldes und Jagd auf Wild verklagt und dann von ihm des Landes verwiesen. Als aber später die Tochter des Alemannenherzogs erkrankt war, soll Gunzo den hI. Gall, der nach Columbans Abreise wieder zu Willimar gekommen war, an ihr Krankenbett gerufen haben.
Gallus jedoch fürchtete zuerst Unheil und floh über die Berge zum Diakon Johannes von Grabs. Willimar bewog aber Gall, mit ihm nach Iburninga (Ueberlingen) an den Hof des Herzogs zu gehen, wo der heilkundige Mönch die kranke Friedburg, die Braut des Frankenkönigs Dagobert, gesund machte. Zum Danke wollte ihn Gunzo auf den Bischofstuhl von Konstanz erheben. Gallus jedoch empfahl seinen einheimischen Freund Johannes von Grabs. Gunzo befolgte den Wunsch und bei dessen Eintritt in das neue Amt hielt Gall die Festpredigt, indem der neue Bischof dem Volke vortrug, was ihm Gallus vorher ins Ohr gesagt hatte.
In der Waldwildnis an der Steinach, die er mit seinem Diakon Hildibold aufsuchte und von Gunzo zum Geschenk erhielt, beschloß Gallus um 627 sein Leben und wurde in seiner Zelle begraben.
Ein St. Galler Mönch schrieb dann gegen Ende des 8. Jahrhunderts die Lebensgeschichte des Heiligen nieder. War nun schon diese fast 200 Jahre nach dessen Tod verfaßte und auf mündlicher Ueberlieferung fußende Biographie infolgedessen mit vielen wunderbaren Begebenheiten durchsetzt, hat die ausgeschmückte Lebensbeschreibung des Abtes Walafrid Strabo von Reichenau, der erst um die Mitte des 9. Jahrhunderts starb, noch geringeren historischen Wert.
Columban aber war über Graubünden, wo sein Schüler Siegbert das Kloster Disentis ins Leben rief, nach Oberitalien gekommen, wo er 615 in dem von ihm gegründeten Kloster Bobbio starb. Attala, der mit seinem Meister auch in Brigantium geweilt hatte, folgte ihm als Abt und hatte so Gelegenheit, seinem Schüler Jonas das Leben des Stifters zu schildern und ihm den Stoff zu dessen Lebensbeschreibung zu liefern. Durch seine Biographen und Schüler wurde das Andenken Columbans in der irischen Heimat wach erhalten und bei den ohnehin wanderlustigen Landsleuten galt es bald als ein Akt der Pietät, die Stätten des Wirkens ihrer großen Landsleute aufzusuchen. Besonders über Gallien, wo Columbans Genossen Chagnoald Bischof von Laon und Eustasius Abt von Luxeuil waren und im Geiste ihres Lehrers wirkten, strömten in der Folgezeit häufig Schottenmönche an die Ufer des schwäbischen Meeres, wo sie neue klösterliche Niederlassungen gründeten.
Erst jetzt bildete sich wohl auch die Legende des hl. Lucius in der Art um, daß man hier schon die Anfänge des Christentums auf jenen Glaubensboten zurückzuführen suchte. Nun wird der Apostel Rätiens zu einem britischen Königssohn, der gegen Ende des 2. Jahrhunderts Zepter und Krone niedergelegt, über die nach ihm benannte St. Lucisteig nach Bünden gewandert ist und hier schließlich gesteinigt wurde.
Wohl ebenfalls erst im Verlauf des 7. Jahrhunderts dürfte Fridolin aus dem Inselreich in unsere Gegenden gekommen sein, wo er sich durch seine Tätigkeit als Schottenmissionär den Ehrennamen Apostel Alamanniens erwarb. Von dem fränkischen König Chlodwig II. (638—56) erhielt er die Rheininsel Säckingen zum Geschenk und stiftete dort das bekannte Kloster. Auf feinen Wanderungen von Burgund nach Glarus gründete er zahlreiche Kirchen zu St. Hilarius Ehren, wie eine solche 821 in Schlins erwähnt wird.
Auch mit der Schottenansiedelung auf dem Viktorsberg sucht man Fridolin in Verbindung zu bringen, an den in der Umgebung von Rankweil die Legende von der Auferweckung des toten Ursus und dessen Zeugenschaft vor dem Gaugericht erinnert. In der Fridolinskapelle auf dem Frauenberg wird in einem Stein noch die Kniespur des Heiligen gezeigt.
In ähnlicher Weise werden vom Volk die Gletscherschliffe am Stein beim Kirchlein in der Klause dem Hl. Algast oder Arbogast zugeschrieben, der um 667 seine Heimat Aquitanien oder Schottland verlassen und im Elsaß ein Kloster gegründet hatte. Da Arbogast 673 auf den Bischofstuhl von Straßburg erhoben wurde und schon 678 starb, kann sein Aufenthalt in dieser Gegend nicht lange gedauert haben. Er mag wohl Dagobert II., dessen vertrauter Freund er war, auf einer Reise in diese Gegend begleitet haben, bei welcher Gelegenheit dann auch die Schenkungen an die Peterskirche in Rankweil erfolgten. Auf Dagobert I., der in den dreißiger Jahren des 7. Jahrhunderts in unsere Gegend kam, hatte Eligius, Gründer des Klosters Solignac, großen Einfluß, an den die ehrwürdige Kapelle des hl. Loy bei Götzis erinnert.
Um 713 kam auch der Angelsachse Pirmin nach Rätien. Er legte auf den Höhen von Ragaz den Grund zum Kloster Pfävers und gründete sodann das berühmte Kloster Reichenau im Bodensee.
Quelle: Aufsätze und bilder aus der Geschichte Vorarlbergs und seiner Umgebung, Franz Haefele, Dornbirn 1922, S. 19f