319. Das alte Bludenz
Mehr als tausend Jahre sind es her, seit Kaiser Otto der Große die Pfarrkirche von Bludenz dem Bischof Waldo von Chur schenkte. Das Kirchspiel hatte eine bedeutende Ausdehnung. Es umfaßte das ganze Montafon, Bürs mit Bürserberg und Brand und das heutige Stadtgebiet mit seinen Außenorten. Barthlomesberg soll sich zuerst von der alten Mutterpfarre getrennt haben, dann folgten St. Gallenkirch, Tschagguns und Bürs. Selbst die Kirche St. Antons im Prätigau soll fast bis zur Reformation von Bludenz abgehangen haben.
Der Patron der Kirche von Bludenz war und ist der hl. Laurentius. Derselbe Heilige wurde besonders von den deutschen Königen Heinrich l. und Otto I. verehrt. Jener betrachtete ihn als seinen Helfer in der großen Wendenschlacht und Otto erfocht einen gewaltigen Sieg über die Ungarn auf dem Lechfelde 955 am 10. August, dem Tage des Heiligen. Auch als Kaiser war er noch eifrig bemüht, die Verehrung seines Lieblingsheiligen zu verbreiten, und es ist nicht unwahrscheinlich, daß er es war, der die Kirche von Bludenz ihm weihte.
Die Pfarrkirche stand wohl immer auf erhöhtem Platze neben dem Schlosse, und der alte mauerumgürtete Friedhof war für die Stadt ein Bollwerk wie jenes, dessen Hauptbestandteil ein viereckiger Bergfried oder Kampfturm bildete. Wo jetzt der Turm steht, war vor altem das Beinhaus und eine Kapelle. Die Grafen von Werdenberg wurden im Chore der Kirche beigesetzt. Alle Montage mußte der Pfarrer mit dem Rauchfaß zum herrschaftlichen Grab und dann vor das Beinhaus. Alle Samstage aber nach der Vesper hatte er mit Rauchfaß und Weihwasser unter dem Geläute der Glocken und unter Absingung der uralten Antiphon „Media in vita" über den Friedhof und in das Beinhaus zu gehen. Der Brauch, daß die Nachtwächter in der Frühe um drei Uhr den Tag einläuten, wird schon vor mehr als dreihundert Jahren ein alter genannt.
Quelle: Im Sagenwald, Neue Sagen aus Vorarlberg, Richard Beitl, 1953, Nr. 319, S. 185