474. Die Bütze lehren singen
Auf der Alpe Fahra* hat es in früheren Jahren viel Bütze gehabt. Einmal in einem Herbst, als das Vieh und die Hirten und die Senner schon ab der Alpe gefahren waren, hat ein Senn bemerkt, daß er die Seihe vergessen habe. Der Senn sagt zum Kleinhirt, er solle schnell gehen, die Seihe holen. Der Kleinhirt sagt, er traue sich unmöglich mehr allein auf die Alp hinauf, er fürchte sich so vor den Bützen. Der Senn ist ein grober Mann gewesen, er gibt dem Bub ein paar Ohrfeiget und jagt ihn hinauf. Als Röhrender ist der weiter und wie er zum Stafel hinaufkommt, hört er in der Dieja drin singen, und zwar so schön, wie er es seiner Lebtag noch nie gehört hat. Der Bub bleibt stehen und losnet. Da kommt einer von der Dieja heraus vor die Tür und sagt, er solle nur hineinkommen zu ihnen, sie täten gewiß niemand nichts zu leid. Der Bub hat sich aber doch gefürchtet und sagt zu dem Butz oder was es gewesen ist, er solle so gut sein und ihm die Seihe aus der Dieja herausholen und vor die Tore legen. Der Butz bringt ihm die Seihe aus der Dieja und sagt dann noch zu ihm, er dürfe kommen, wann er wolle, und sie täten ihn auch noch lehren singen. Aber wenn der Senn nocheinmal heraufkomme, dem gehe es dann nicht gut. Der Bub springt mit der Seihe über den Stafel hinab und merkt zu seiner Freude, daß er jetzt auch so schön singen könne. Wie er zu den ändern kommt, erzählt er, wie es ihm ergangen sei und fängt an zu singen, daß sie alle staunen, Der Senn wird neidig und schon reut es ihn, daß er nicht selbst hinauf ist. Er will auch so schön singen können und losnet nicht auf das, was der Bub sagt, und geht am Tag drauf hinauf. Aber von der selben Stund an, wo er dort auf Fahra hinauf ist, hat man keine Spur mehr von ihm weder gesehen noch gehört.
* Nach einer freundlichen Mitteilung von Franz Elsensohn (2005) ist die Alpe Fahra (heute Fahren) Vandanser Gebiet.
Quelle: Im Sagenwald, Neue Sagen aus Vorarlberg, Richard Beitl, 1953, Nr. 474, S. 262